Bodensee-Vorarlberg: CampusVäre
Ideen am laufenden Band
Ein altes Industriegelände in Dornbirn wandelt sich gerade. Das Ziel: Vorarlbergs erster Standort für Wirtschaft, Wissen und Kreativität zu werden. Spannend!
TEXT: CHRISTIAN HAAS
Als die Beschäftigten in den Sägenhallen, die bis in die 70er Jahre zu den größten Buntwebereien Österreichs zählten, vom Aus ihres Standortes erfuhren, ging alles sehr schnell. Richtig auf- oder weggeräumt wurde am rund 12.000 Quadratmeter großen Standort der Firma F. M. Hämmerle an der Dornbirner Ach nämlich kaum, eher mehr oder weniger einfach dicht gemacht. Dieser Eindruck entsteht bei einem Rundgang durch Hallen, Gänge, Rampen, Keller, Räume. In einem liegen noch Zeitungen von jenem Abschiedstag herum, anderswo grüßen offene Roll- und Aktenschränke, abgesplitterte Wandfarbe, blinde Scheiben und stehengebliebene Uhren an der Wand.
All das ergäbe ein authentisches Setting für einen Ostblockthriller, einen Tatort oder einen Escape-Room-Anbieter. Die Mischung aus Nostalgie, leichtem Grusel und Industriecharme hat jedenfalls was. In den Augen von Bettina Steindl hat sie vor allem: Potenzial. Die 42-Jährige, die das 2021 gegründete Projekt CampusVäre leitet, will das mit ihrem kleinen Team ändern.
Start-ups, Cafés, Forschungslabore? Wer in den verwaisten Hallen einzieht, wird sich zeigen. Das Ziel für das Campus V Areal jedenfalls ist ambitioniert: Vorarlbergs erster Standort für Wirtschaft, Wissen und Kreativität zu werden.
Zentrale Lage statt Stadtrand
Den verwaisten Hallen, statt sie abzureißen, neues Leben einhauchen. Als Wirkungsstätte für Kulturschaffende, Handwerker, Forscher, Erfinder, Start-up-Gründer. Oder um es mit Bettinas Worten zu sagen: „Für junge und kreative Leute, die sich mit einer manchmal vorhandenen Saturiertheit und ,Basst scho‘-Mentalität nicht zufrieden geben wollen“ und sich nicht vorstellen können und/oder wollen, in einem 08/15-Bürokomplex am Stadtrand zu arbeiten.
Das Campus V Gelände, das schon in den vergangenen Jahren etwa vom Hochwasserschutzprojekt Rhesi teilgenutzt wurde, liegt da schon deutlich attraktiver: mitten in Dornbirn, der größten unter den vergleichsweise kleinen Städten Vorarlbergs. In die Fußgängerzone und ins Stadtbad ist es nicht weit, zur Fachhochschule Vorarlberg, der ersten Österreichs, noch viel kürzer. Die Ausbildungsstätte für rund 1.300 Studierende befindet sich genau gegenüber.
Ein Viertel im Umschwung
In dem Zusammenhang fallen bei Bettina gleich Schlagworte wie „Braindrain stoppen“ und „Kreativität ist der Rohstoff der Zukunft“. Nach Zukunft sieht es beim Anblick der meisten Räumlichkeiten noch nicht unbedingt aus. Beispielhaft ist da Bettinas Büro, das sie selbst als „noch etwas spartanisch“ beschreibt, als „improvisiert und aus allen möglichen alten Möbeln zusammengeschustert“. Retro-Flashbacks erlebt man beim Erkunden verwinkelter Treppenaufgänge, langer Gänge und der Firmenmensa ständig. Eingelagerte Weihnachtsmarktbuden, Stühle aus dem Stadtkeller, noch nicht genau zuordenbare „Schätze“ von der Caritas. Bettina ist überzeugt: „Es braucht nicht immer das Neueste oder Fancyste. Was es eher braucht, sind Orte, die etwas auslösen, sodass sich Leute anders benehmen und begegnen.“
Und so ein Ort, ähnlich wie das Münchner Werksviertel oder das Dortmunder U, soll mit dem Campus V entstehen und somit die wohl derzeit spannendste Stadtvierteltransformation weit und breit. Was und wer wann einzieht – und da wären auch Cafés, Ateliers und Seminarräume vorstellbar – und wie das alles funktionieren kann, sei es mit modularen Büro- und Shop-Elementen wie im „Bikini Berlin“ oder anders, ist gerade mit verschiedenen Experten in Planung. Das Ziel ist klar: „Ein lebendiges Quartier für Chancenvielfalt schaffen. Und: Die Hallen und das Areal sollen Meter für Meter entwickelt und inhaltlich kuratiert werden.“
Wo es schon mal geklappt hat
Ebenfalls klar: „Dieses Gelände ist eine gute Ergänzung, keine Konkurrenz zur bestehenden Kultur.“ Und mit der lokalen und regionalen Kultur hat sich Bettina wahrlich viel auseinandergesetzt. Schließlich leitete sie das Projektbüro für die „Kulturhauptstadtbewerbung 2024“, auch wenn es mit „Dornbirn plus“ – sprich mit Feldkirch, Hohenems und Bregenzerwald – letztlich nicht geklappt hat. Wie zeitgemäße Kultur in alten Industriegebäuden klappt, beweisen indessen gleich zwei Institutionen: Die Ausstellungsfläche des Kunstraum Dornbirn ist in einer ehemaligen Montagehalle und das mit Sonderschauen und 40 interaktiven Stationen aufwartende Naturmuseum inatura in einem architektonisch interessant modernisierten Industriebau untergebracht. Ebenfalls interessant: Die Naturschau hat sich zum meistbesuchten Museum der Region entwickelt. Ein starker Beweis, dass sich an einem scheinbar toten Ort wieder volles Leben entwickeln kann.