Hörnlingen, Rankweil
Kulinarisch visionär im traditionellen Ambiente
TEXT: Renate Breuß und Marina Hämmerle
Das „Hörnlingen“ in Rankweil ist ein Wirtshaus, ein Club und eine Bar. Seine Lage in der Bahnhofstraße und seine historistische Architektur erinnern an die Zeit des Eisenbahnbaus, die klassische Rindsuppe an eine legendäre Wirtin, für die ein Mittagessen ohne Suppe und ein Freitag ohne Süßspeise noch sündhaft war. Das hat sich, Gott sei gedankt, auch im Wallfahrtsort Rankweil gewandelt.
Mit der Gebäudesanierung von Marte.Marte Architekten im Jahr 2017 wird die Bühne frei für neue und mutige Ideen, für Dominic Mayer. Mit ihm kommt ein Konzept auf den Tisch, das ohne erstklassige Produkte nicht funktionieren würde. Der Jungkoch will nämlich alles von einem Lebensmittel verwerten, von der Blüte bis zur Wurzel, „from nose to tail“. Aus diesem Reichtum kreiert er Gerichte, die aus dem Repertoire unserer Gasthausküchen mehr und mehr zu verschwinden drohen. Ganz einfach deshalb, weil sie zu viel Arbeit machen und weil sie ein besonderes Know-how verlangen. Wer ein ganzes Tier kauft, muss es zu zerlegen wissen, von Anatomie eine Ahnung haben. Von wildwachsenden Kräutern kennt er die Kraft der Wurzeln und die Zeit der Reife, den Stengel des Mangolds weiß er anders zu handhaben als das Blatt.
Anfänglich skeptisch beäugt ist heute glücklich, wer im Hörnlingen am Wochenende einen Platz ergattert. Das innovative Konzept ist aufgegangen, die Orientierung an saisonalen und marktfrischen Produkten offenbart eine neue Vielfalt. Serviert wird wahlweise eine Abfolge zwischen sechs, sieben und acht Gängen, Fisch, Fleisch, Gemüse, Süßes.
Es liegt am Gast, sich auf das, was sich auf schwarzer Keramik darbietet, voll und ganz einzulassen. Was nicht geschrieben steht, wird selbst erkundet, auf Wunsch auch genauestens erklärt, denn im „Hörnlingen“ tragen die Köche die eine oder andere Schüssel auch selbst aus.
Eine klare Rindsuppe mit Roggenblattl, ein Brennessel-Risotto mit Ländleschnecken, wachsweiche Wachteleier kross paniert, ein hauchdünnes Carpaccio vom Kalbsrücken, ein Karpfen aus dem Bodensee auf Blattspinat. Dill, Zitrone, Viktorsberger Safran, Hanföl und selbst gebackenes Brot – niemals Nebendarsteller. Die Kitzleber auf Venezianisch ist eine Hommage an die Lehrzeit in Venedig. Dort und in der Steiermark hat Mayer den Umgang mit erstklassigen Grundprodukten gelernt. Wer die Variante mit Süßem anstelle der Zwischengerichte wählt, wird sehen und fühlen, dass der junge Lehrmeister auch hier alle Register zieht.
Im „Hörnlingen“ teilt und probiert man, sitzt an langen oder kleineren Tischen, genießt die angenehme Atmosphäre eines traditionellen Gasthauses. Die Plätze im Gastgarten unter den Kastanien, seit Kurzem auch in den Nischen des Gewölbekellers sind weitere Optionen für gute Gespräche, bei gutem Essen.
Dialog ist im „Hörnlingen“ kein Lippenbekenntnis. Er funktioniert zwischen Gästen und Gängen genauso wie in
der persönlichen Beziehung zu den Lieferanten – großzügig und frustfrei.