C Walser Kulturweg © Dietmar Denger / Vorarlberg Tourismus GmbH
Kultur to go im Kleinwalsertal
Der Walser Kulturweg zieht sich durchs ganze Kleinwalsertal
C Walser Kulturweg © Dietmar Denger / Vorarlberg Tourismus GmbH
Der Walser Kulturweg zieht sich durchs ganze Kleinwalsertal
In und um Mittelberg kann man beim Wandern Geschichten aus 700 Jahren begegnen und auf den Spuren der Walserfamilien wandeln. Ein Rundgang durch die Zeit – mit erfrischend modernen Zwischenstopps
TEXT: KORNELIA DIETRICH
Wir treffen Wolfgang Hilbrand auf einer Bank an der Kirche von Mittelberg. Als Ausgangspunkt unserer Wanderung ist sie nicht zu verfehlen: Ihr 66 Meter hoch aufragender Turm ist das Wahrzeichen des Dorfs, ja für viele sogar des gesamten Kleinwalsertals. „Über 600 Jahre ist er alt und musste noch nie saniert werden“, sagt Wolfgang Hilbrand stolz. Fünf Walserfamilien kamen am Ende des 13. Jahrhunderts aus der Schweiz und wurden hier sesshaft. „Sie hatten keinen Stahl, kein Eisen, also machten sie die Mauern zweieinhalb bis drei Meter dick, damit St. Joduk für die Ewigkeit halten würde.“
Viele Spuren haben die Walser zwischen Riezlern und Baad hinterlassen. Und so kam Wolfgang Hilbrand vor einigen Jahren die Idee für den Kulturweg, einen Wanderweg, der auf schönen Strecken durchs Tal führt und gleichzeitig die Erklärungen für viele Dinge liefert, an denen sonst mancher vorbeiliefe, ohne sie zu bemerken. Den „Uusrüafschtei“ zum Beispiel, eine flache Steinplatte hinter der Kirche. „Mit dem Schlitten wurde sie 1595 hergezogen – anders konnte man das tonnenschwere Stück gar nicht bewegen.“ Darauf stand der Waibel, der Amtsdiener, jede Woche nach dem Gottesdienst am Sonntag, und verlas die Neuigkeiten: welche Wiesenstücke verkauft werden sollten oder wann die nächste Viehauktion stattfand. „Das war der einfachste Weg, die ganze Gemeinde zu erreichen, damals gingen ja noch alle Leute in die Messe.“ Heute bleibt die Kirche oft ziemlich leer, wenn an jedem zweiten Sonntag Pfarrer Edwin Matt, den sich Mittelberg mit den Nachbargemeinden teilt, auf die Kanzel steigt.
Aber an diesem sonnigen Nachmittag treffen wir auf viele Urlauber, die sich die Fresken, den schönen Altar und die bemalte Vortragetafel aus Holz anschauen, die die Mädchen früher bei Prozessionen vor sich her trugen, daher der Name. „Sind Sie von hier?“, fragt ein Mann mit deutlich erkennbarem Ruhrpott-Einschlag und setzt gleich nach: „Wann ist denn hier morgen die Fronleichnamsprozession?“
Wir wandern am Mesnerhaus vorbei, an alten Walserställen, am „Hoflaada“, über dessen Eingangstür noch die hölzernen Heinzen hängen, auf denen bei schlechtem Wetter früher das Gras in kleinen Büscheln zum Trocknen aufgehängt wurde. Hier treffen Tradition und moderne Technik aufeinander: Drinnen kann man sich am Milchautomaten die frische Bio-Bauernmilch selbst zapfen, automatisch, gekühlt und hygienisch. Auch Bergkäse und Joghurt gibt es ab Automat, und schnell kommen wir ins Gespräch mit Urlaubern aus Bayern, die bei uns Geldscheine in Münzen wechseln, damit sie sich die Köstlichkeiten in ihren Wanderrucksack packen können.
Beim über 450 Jahre alten Walserhaus Kohler in Bödmen klopfen wir an und dürfen die Stube bestaunen, die seit Generationen kaum verändert wurde, mit Holzvertäfelung und Herrgottswinkel. Immer wieder kommen uns Wanderer entgegen, grüßen freundlich im Vorbeigehen. Und immer wieder sprechen Einheimische Wolfgang Hilbrand an – jeder scheint ihn in Mittelberg zu kennen – kein Wunder, er war bis zur Pensionierung Leiter der Volksschule. Und kennt deshalb auch die schaurigen Geschichten, die sich um die Sühnekreuze aus dem 15. Jahrhundert ranken, die wir auf unserem Weg passieren. Im Mittelalter mussten Mörder diese Mahnkreuze eigenhändig aus Stein schlagen und am Tatort aufstellen: ein Mann, der mit seinen drei Brüdern nach einem Trinkgelage in Streit geraten war und alle umgebracht hat, oder ein Vater, der seinen Sohn getötet hat.
Wir sind die schönste Sackgasse Österreichs.
Aber auch ohne Guide können Interessierte den Kulturweg erwandern: Im Tourismusbüro gibt es eine kleine Broschüre, die zu den Sehenswürdigkeiten führt. Und vor jedem Denkmal ist eine Tafel mit einer Erklärung angebracht; die Texte hat Wolfgang Hilbrand verfasst – für Sachkenntnis und Heimatliebe ist also gebürgt. Wir spazieren am Alpenwald vorbei, durch bunt betupfte Wiesen voller Löwenzahn, Hornklee, Hahnenfuß, Butterblumen. Bienen summen, Schwalben ziehen hoch über uns ihre Kreise, bis der Weg sanft abfällt zur Kapelle St. Martin in Baad. Sie ist ein Kleinod, für unseren Guide nicht nur wegen der hübsch ausgemalten Decke: „An dem Kirchele hänge ich besonders, hier haben wir unsere Goldene Hochzeit gefeiert.“
In Baad ist Endstation. Nicht nur für unseren Ausflug: Hier endet das Kleinwalsertal, das kleine Dorf ist von Bergen umgeben, die einzige Straße führt zurück nach Mittelberg. „Wir sind die schönste Sackgasse Österreichs“, sagt Wolfgang Hilbrand. „Und wir wollen es auch bleiben – gegen eine Durchgangsstraße haben wir uns immer gewehrt.“ Zum Glück mit Erfolg.
Der Kulturweg zieht sich durchs gesamte Kleinwalsertal. Informationen zu den Wegen gibt es auch digital mit interaktiver Karte. Acht Kilometer lang ist die Mittelberger Runde. Wer sich Zeit lässt, die 20 Stationen in Ruhe anzuschauen, sollte gut drei Stunden einplanen. Ähnliche Runden gibt es in Hirschegg (11 Stationen, 2,5 Kilometer), Riezlern (10 Stationen, 13 Kilometer) und als Talrunde (9 Stationen, 20 Kilometer). Wer den Weg abkürzen möchte, kann jederzeit in den Walserbus einsteigen, der alle Ortschaften verbindet. Für Inhaber der Kleinwalsertaler Gästekarte ist die Benutzung kostenlos.