Gasthof Rössle in Braz
Alles ist gewachsen, nichts ist konstruiert
TEXT: Renate Breuß und Marina Hämmerle
Das „Rössle“ in Innerbraz ist ein altes und ehrwürdiges Haus, mit viel Geschichte und viel Esprit. Wer hier ankommt, ob mit dem Auto, mit der Bahn oder zu Fuß, spürt ihn, diesen besonderen Geist, sofort. Unter den Kastanienbäumen, an der Straße, zwischen Tür und Angel – ein erstes Innehalten und Wahrnehmen des Anderen, genauso hungrig, genauso gut gelaunt. Augenfällig sind auch der saubere Kalkputz, das frische Sgraffito an den Gebäudekanten und Fensterbögen, das schmiedeeiserne Handwerk im modern gestalteten Ausleger. Die jungen Architekten Albrecht und Bereiter haben in ihrer Sanierung die handwerklichen Qualitäten des 250 Jahre alten Hauses nicht nur weitergeführt, sie tragen sie auch großzügig mit. Sie folgen Prämissen, wie sie auch das Reich der Küche bestimmen: gutes Handwerk und gestalterisches Gespür.
Seit 1775, so steht es in der Inschrift im holzverkleideten Giebelfeld, ist das Rössle ein Gasthaus, in Familienhand. Bis vor Kurzem waren die Anfänge der Rössle Identity in einer Truhe, dem Rössle-Archiv aufbewahrt. 2014 hat Vater Elmar Bargehr die vielen Urkunden und Dokumente dem Museumsverein Klostertal übergeben und das Gasthaus seinen beiden Söhnen anvertraut.
Die Wirte im „Rössle“ sind also längst keine Fuhrmänner mehr, auch keine Bauern und keine Politiker. Die beiden Brüder Valentin und Martin Bargehr finden ihre Berufung in der Beziehung zum Gast und zu den Lieferanten und in der Kultur. Valentin ist der Koch und der Eigentümer, Martin ist der „Oberkellner“. Ein Oberkellner im guten alten Stil, einer, der den Menschen im Gast erkennt. Als „Entremets“ sind musikalische und literarische Einlagen nicht ausgeschlossen.
Die Kultur der Küche ist ganz ihrer Wortherkunft, dem „colere“, dem kultivierten Anbauen und Pflegen der Äcker und Felder, der Gärten und Wälder verpflichtet. Dieser Eingriff in die Natur ist prägend für die Kulturlandschaft, dem Koch ist sie Speisensubstanz. Das funktioniert im „Rössle“ in regionaler Kooperation mit Gemüse- und Fleischbauern, mit Sennen und Imkern, mit Jägern und Hausfrauen. Sie bringen die gesammelten Pilze und das Wild aus dem Wald, liefern halbe Rinder und bachfrische Saiblinge, reife Beeren und hausgemachte Marmeladen. Die Zubereitung folgt der Vision eines Kochs, der sein Handwerk in der Gargellener „Heimspitze“, bei den Brüdern Obauer und beim Engadiner Roland Jöhri gelernt hat. Mit profunder Kenntnis und sprühendem Geist überzeugt er auch auf fremdem Terrain. Einmal die Woche – auf Bestellung – gibt es Sushi. Da liegt Asien einen Montagabend lang im Klostertal. Den Rest der Tage erfreut Klassisches – Geschmortes, Gebratenes, herrlich Verdichtetes in glänzenden Saucen und kräftigen Suppen – mit Flädle oder Leberspätzle. Alles ganz genau so, wie es sich gehört. Das ist Kultur auf dem Teller, ohne Firlefanz und auf Wunsch mit Nachschlag.