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Alpschreiberin Lisa-Viktoria Niederberger bei der Arbeit © Alex Kaiser / Vorarlberg Tourismus

Vom Sennen und Sinnieren

Zu Besuch bei der Alma Alpschreiberin auf der Alpe Andlisbrongen in Schetteregg

Vorarlberg Magazin
Vom Sennen und Sinnieren

Vom Sennen und Sinnieren

Zum 100-Jahr-Jubiläum hat Alma dieses Jahr ein Alpschreiber*in-Stipendium ausgeschrieben. Gewonnen hat Lisa-Viktoria Niederberger aus Linz. Drei Wochen hat die freie Autorin im Sommer auf der Sennalpe Andlisbrongen in Schetteregg verbracht, beobachtet, nachgedacht und geschrieben. Dabei ist sie nicht nur einer unerwarteten Geräuschkulisse, sondern auch neuen Seiten an sich selbst begegnet.

TEXT: CARMEN JURKOVIC-BURTSCHER
Juli 2021


Die Fichten stehen in kleinen Gruppen dicht beieinander, hier oben auf 1200 Metern. Dazwischen spannen sich sattgrüne bergkräuterreiche Hänge, auf denen in Seelenruhe das Vieh grast. Immer wieder fallen Sommersonnenstrahlen durch die löcherige Watteschicht am Himmel. Fast so, als wolle die Natur nach dem Regen der letzten Tage ihre Leistung an diesem Fleckchen Erde in besonders gutes Licht rücken.

Dabei hat es die Schetteregger Landschaft Lisa-Viktoria auch so schon längst angetan. „Ich finde es unglaublich schön hier“, sagt die Alpschreiberin auf Zeit, und lässt den Blick über die Weide talabwärts in Richtung Vorderwald wandern. Dorthin, wo man an klaren Tagen bis zum Bodensee sehen kann. „Und ich habe den Luxus, dass ich neben dem Schreiben auch noch den Ausblick genießen kann.“ Denn dafür haben Anna und Leonhard Sutterlüty nur wenig Gelegenheit, wenn sie mit ihren Kindern Chiara und Tobias den Sommer hier verbringen und mit ihren Pfistern die Alpe bewirtschaften. Der Arbeitstag der Älpler beginnt um fünf Uhr und nicht selten zieht er sich bis in den späten Abend hinein. Lisa-Viktoria geht es da etwas gemächlicher an. Zwischen sieben und halb acht steht sie auf, öffnet der würzigen Alpluft und dem Bimmeln der Kuhglocken die Fenster und bringt gleich einmal die Gedanken der Nacht zu Papier. Auch nach dem gemeinsamen Frühstück, am liebsten mit Annas Riebel oder hausgemachtem Frischkäse, widmet sie sich wieder dem Schreiben. Denn dafür ist Lisa-Viktoria schließlich hier.

Alpe Andlisbrongen Schetteregg © Alex Kaiser / Vorarlberg Tourismus
Alpschreiberin © Alex Kaiser / Vorarlberg Tourismus

„Da hörst du immer irgendetwas. Vor allem das Bimmeln der Kuhglocken war in den ersten Tagen irritierend präsent. Mittlerweile fällt es mir gar nicht mehr auf.“

Drei Wochen. Drei Texte.
Landschaft, Arbeit und Stille sind die Themen, mit denen sich als Alpschreiberin in ihren Texten auseinandersetzt. Während das wechselhafte Wetter des Sommers die Berglandschaft für sie nur noch reizvoller macht, ist die Geräuschkulisse eine völlig andere als erwartet. „Hier ist es lauter als zu Hause“, lacht die Linzerin. Daheim in Linz teilt sie sich mit ihrem Lebensgefährten eine Wohnung. Hier lebt sie plötzlich mit acht Menschen, einigen Kühen, Kälbern und Katzen unter einem Dach. „Da hörst du immer irgendetwas. Vor allem das Bimmeln der Kuhglocken war in den ersten Tagen irritierend präsent. Mittlerweile fällt es mir gar nicht mehr auf.“

Am liebsten schreibt Lisa-Viktoria auf der Holzbank draußen vor dem Haus, mit Blick auf die Winterstaude. Für die kleine Chiara war es anfangs schwer zu verstehen, warum der Besuch statt wie die anderen Käse zu machen, das Vieh zu versorgen oder Zäune zu reparieren mit Laptop oder Notizbuch auf den Knien so oft „nur da sitzt und schaut“. Doch auch das gehört zum Schreiben dazu: das Sinnieren und das Beobachten. „Es ist eine bereichernde Erfahrung für mich, einem Kind zu erklären, was genau ich mache“, sagt die Autorin. „Das gibt mir noch einmal eine andere Perspektive auf meine Arbeit.“ Zudem erweitern die Gespräche auf der Holzbank ganz nebenbei den Bregenzerwald-Wortschatz der Oberösterreicherin. „Ich habe gelernt, dass ich ein Wib und keine Schmelg mehr bin und dass man hier Bschütte auch schmecken kann*“, lacht sie.

*Ein Wib ist im Bregenzerwald eine Frau und eine Schmelg ein Mädchen, Bschütte ist die Gülle und in ganz Vorarlberg wird schmecken auch synonym für riechen verwendet – was anfangs nicht nur auf der Alpe irritierend sein kann.

Hier erlebe ich, dass es ein reizvoller kreativer Prozess sein kann, die Natur, die Tiere oder die Menschen bei der Arbeit zu beobachten. Ich kann darüber auch schreiben, ohne ins Kitschige abzurutschen

Lisa-Viktoria Niederberger
Sennerfamilie Sutterlüty Andlisbrongen © Alex Kaiser / Vorarlberg Tourismus
Interview mit Alpschreiberin Lisa-Viktoria Niederberger © Alex Kaiser / Vorarlberg Tourismus
Alma Käse Alpe Andlisbrongen © Alex Kaiser / Vorarlberg Tourismus

Die Gastgeber: Sennerfamilie Sutterlüty mit Lisa-Viktoria

Im Gespräch mit Alpschreiberin Lisa-Viktoria Niederberger

Aufgetischt: Alma Käse

Während sie den Vormittag mit Schreiben verbringt, erkundet Lisa-Viktoria am Nachmittag die Umgebung. Doch erst wird gemeinsam zu Mittag gegessen. „Es ist herrlich, wenn man so versorgt wird“, freut sie sich, „und die Anna kocht total gut.“ Gut gestärkt führen ihre nachmittäglichen Streifzüge querfeldein, dem Güterweg entlang vorbei am Gülkevorsäß bis hinunter nach Schetteregg oder hinauf in Richtung Lindachalpe. Auch die beiden nächstgelegenen Gipfel, den Tristenkopf und die Winterstaude, hat Lisa-Viktoria schon bewältigt. „Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal alleine auf einen Berg wandern würde“,erzählt die bekennende Flachländerin nicht ohne Stolz. Würde sie es noch einmal tun? „Auf jeden Fall! Aber vorher brauche ich neue Blasenpflaster.“

Begegnungen mit sich selbst
Alleine wandern zu gehen ist eine der Gelegenheiten, bei denen Lisa-Viktoria nicht nur Kühen, Schafen und ab und an einem Wanderer, sondern tatsächlich vor allem sich selbst begegnet. Überhaupt hat sich ihr Blick auf das Leben und das Schreiben in den Tagen als Alpschreiberin verändert. „Dieses Klischee, bei dem Schriftsteller in die Natur gehen und dann Baumlyrik oder Heimatromane schreiben, habe ich lange belächelt“, räumt die Künstlerin ein, die sich in ihren Texten sonst eher mit feministischen Fragestellungen, Nachhaltigkeit und Klimaschutz als mit dem Alpleben beschäftigt. „Hier erlebe ich, dass es ein reizvoller kreativer Prozess sein kann, die Natur, die Tiere oder die Menschen bei der Arbeit zu beobachten. Ich kann darüber auch schreiben, ohne ins Kitschige abzurutschen.“ Dass dabei gelegentlich eine schnurrende Katze auf ihrem Schoß sitzt und ein kleines blondes Mädchen sie gebannt beobachtet, muss ja niemand erfahren.

Lisa-Viktoria Niederberger © Alex Kaiser / Vorarlberg Tourismus
Senner Familie Trampolin © Alex Kaiser / Vorarlberg Tourismus
Alpschreiberin auf der Alpe Andlisbrongen © Alex Kaiser / Vorarlberg Tourismus

Alpschreiberin Lisa-Viktoria Niederberger

Senner Familie auf dem Trampolin

Schreiben und Sinnieren auf der Alpe Andlisbrongen

Ein Blick zurück
Drei Wochen auf der Alpe. Eine lange Zeit, die doch wie im Flug vergangen ist. Die vielen Erlebnisse und neuen Eindrücke in ihren Texten zu verarbeiten hat Lisa-Viktoria auch zu Hause in Linz noch eine Zeitlang beschäftigt. Am 21. Oktober war sie zur Präsentation ihrer Texte bei der Jubiläumsfeier zu 100 Jahre Alma wieder in Vorarlberg. „Mir war klar, dass ich die Landschaft und die Menschen vermissen werde“, sagt sie rückblickend und ergänzt schmunzelnd: „Aber als ich am ersten Morgen zu Hause die Fenster aufgemacht und gleich wieder Baustellenlärm hereingekommen ist, habe ich mir sogar die Kuhglocken zurückgewünscht.“

Alpe Andlisbrongen Schetteregg © Alex Kaiser / Vorarlberg Tourismus

Alpe Andlisbrongen Schetteregg

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