C Alpine Art - Feiger Hochstand Marbod Fritsch © Kirstin Tödtling / Vorarlberg Tourismus
Alpenregion Bludenz
Kunstwandern und Mountainbiken am Muttersberg
Vom Alpine Art Kunstwanderweg bis zum Singletrail: Am Muttersberg begegnen sich Welten, die sonst nur wenig miteinander zu tun haben. Und weil dort oben auf 1.401 Metern die Welt weit ist und der Blick ganz von selbst offen wird, findet alles seinen Platz: Sport, Kultur und Genuss.
TEXT: CARMEN JURKOVIC-BURTSCHER
Mit dem Ticket in der Hand stehen wir vor dem Drehkreuz zur Muttersberg Seilbahn. Es ist neun Uhr morgens. Eine gute Zeit, denn der Bahnbetrieb beginnt gerade erst und wir haben eine Gondel ganz für uns alleine. Während Bludenz unter uns immer kleiner wird, schweben wir unserem Ziel entgegen: dem Alpine Art Kunstwanderweg am Muttersberg.
Von der Bergstation, die wir wenige Minuten später erreichen, wären es nur ein paar Schritte zum Alpengasthof Muttersberg. Doch die Einkehr muss warten, denn wir sind verabredet. Wolfgang Maurer, der Obmann vom Verein allerArt in Bludenz, erwartet uns bereits. Er wird uns heute eine Führung geben. Wir sind gespannt, was er uns alles über diese Galerie in der freien Natur erzählen kann.
Kultur mitten in der Natur
Entstanden sei die Idee zum Kunstwanderweg im Rahmen eines EU-LEADER-Projektes der Alpenregion Bludenz, erzählt Wolfgang, während wir von der Bergstation nach links abbiegen und dem leicht abfallenden Weg in einen angenehm schattigen Wald folgen. „Im Zuge dieses Projektes“, fährt Wolfgang fort, „wurden alte Wanderwege saniert. Dabei kam der Gedanke auf, die Gelegenheit zu nutzen und einen Kunstwanderweg zu installieren.“ Mit der Kuratierung wurde der Verein allerArt in Bludenz beauftragt. In Partnerschaft mit der Muttersberg Seilbahn, der Gemeinde Nüziders und der Stadt Bludenz ist so 2018 ein gut einstündiger Rundweg mit sechs Positionen entstanden, gestaltet von sieben namhaften Künstler:innen mit Wurzeln in Vorarlberg.
Wir folgen dem Wegweiser in Richtung Fraßenhütte und Tiefenseesattel und biegen an der Gabelung wieder links ab. Vor uns breitet sich eine prächtig blühende Wiesenlandschaft aus. Hier herrscht reges Treiben: Begleitet von Zwitschern, Summen und Brummen in allen Tonlagen erreichen wir auch schon die erste Position, direkt am Aufgang zum Hohen Fraßen. Wir stehen vor scheinbar wahllos aufeinandergetürmten Steinen mit blau-weißen Markierungen. Aus der Mitte ragt ein Wegweiser, der in unterschiedliche Richtungen zeigt, jedoch nicht beschriftet ist. „Dieses Kunstwerk stammt von Maria Anwander und trägt den Titel ‚Komprimierter Weg‘“, sagt Wolfgang. Wo führen die Wegweiser hin, denen wir oft scheinbar blind folgen? Sind wir auf dem richtigen Weg? Und wo wollen wir überhaupt hin? Fragen wie diese sind es, zu denen der „Komprimierte Weg“ anregen will.
Um die zweite Position am Alpine Art Kunstweg am Muttersberg zu erreichen, brauchen wir keinen Wegweiser, denn sie liegt bereits in unserem Blickfeld: Ein himmelblauer Hochstand vor einem großen dunkelgrünen Nadelbaum. Mit seinen gebeugten Stehern vermittelt er den Eindruck, als wolle er sich davonschleichen. „Das ist der ‚Feige Hochstand‘ von Marbod Frisch“, sagt Wolfgang. Dieses wohl markanteste der sechs Kunstwerke lasse vielfältige Sichtweisen zu. Eine beziehe sich beispielsweise auf die Jagd und darauf, wie von so einem Hochstand aus geschützt auf Tiere geschossen werden könne, statt sich der Natur zu stellen. Doch das Spannende sei, so Wolfgang, dass sich, je nach aktuellem gesellschaftlichem und politischem Kontext, auch ganz andere Interpretationen und rege Diskussionen ergeben.
Ein Blick ins Paradies
Während wir dem Güterweg weiter Richtung Tiefenseesattel folgen, saugen wir die Natur um uns herum auf. Es ist erstaunlich, wie nahe man hier bei Bludenz ist und wie sehr man dennoch das Gefühl hat, weit weg von allem zu sein, was Alltag ist. Nur üppige Wälder, weite Wiesen und majestätische Gipfel rundherum. Wir ahnen noch nicht, dass wir uns mit diesen Überlegungen schon dem nächsten Kunstwerk annähern: der „Blickbank“ von Monika Grabuschnigg, eine schlichte Sitzbank aus Beton mit eingeprägtem Karo-Muster und Edelweißen am linken Wegesrand. „Die Bank war ursprünglich mit blauen und weißen Kacheln mit Edelweißen besetzt“, sagt Wolfgang. Die Fliesen mussten leider entfernt werden, weil sie der Witterung nicht standhalten konnten. Dem Ansinnen dieser Position jedoch tut das keinerlei Abbruch. Das Kunstwerk sei inspiriert von einer Textstelle aus dem Roman ‚Die Wand‘ von der Schriftstellerin Marlen Haushofer.
Ein Paradies könnte nur außerhalb der Natur liegen, und ein derartiges Paradies kann ich mir nicht vorstellen.
Auch mit heute eher verhangenem Blick auf den Rätikon lässt es sich hier ganz vortrefflich über dieses Zitat nachdenken. Wir nutzen die Gelegenheit und sind uns einig: Wolken hin oder her, – wir sind heute verdammt nah dran am Paradies.
Ein paar Minuten gönnen wir uns, dann folgen wir dem schmalen Weg den Hügel hinunter, der direkt gegenüber vom Güterweg abzweigt, direkt auf das nächste Kunstwerk zu: ein riesiger roter Schlitten. Wie festgehalten in der Zeit hängt der da. Halb in der Luft, eingefangen in einem Augenblick einer viel zu schnellen Schussfahrt, in dem er gerade vornüber zu kippen droht. „Die Größe und die intensive Farbe verleiht dem ‚Schlitten‘ von Liddy Scheffknecht einen popartigen Charakter. Trotzdem lässt diese Position erahnen, wie beschwerlich und riskant die Arbeit der Bergbauern hier am Muttersberg in früheren Zeiten gewesen sein muss“, bringt es Wolfgang auf den Punkt.
Immer den Nasen nach
Auf der nächsten Etappe des Kunstwanderweges sind wir froh, dass wir uns für festes Schuhwerk entschieden haben. Es geht auf einem mit Steinen und Wurzeln durchzogenen schmalen Trampfelpfand zurück in Richtung Bergstation der Muttersberg Seilbahn. Auf den Weg achtend und in Gedanken über das bisher Gesehene versunken wandern wir eine Weile vor uns hin und wären alleine wohl an der nächsten Position vorbeimarschiert. Doch als Wolfgang stehen bleibt, sehen wir es auch, das kleine graue Schild mit dem Hinweis auf die vorletzte Station des Kunstwanderwegs: die „Köpfegesellschaft“. Aus Zement und Schotter geschaffen verschmelzen die grauen Köpfe, Hände und anderen Körperteile beinahe mit der Umgebung. „Diese Position stammt von Alfred Graf“, sagt Wolfgang, „der gemeinsam mit Marbod Fritsch und mir den Kunstwanderweg kuratiert hat.“ Die Nähe zur Felswand auf diesem Stück des Weges habe den Künstler dazu inspiriert, die Menschen, die hier am Muttersberg über die Jahre, Jahrzehnte und Jahrhunderte gelebt haben, an dieser Stelle zusammenkommen zu lassen. „Wenn man sich still verhält, kann man die Geschichten hören, die sie erzählen“, sagt Wolfgang leise lächelnd. Und wir lauschen gebannt.
Wo es bergab geht, geht es irgendwann auch wieder bergauf. Der Trampelpfad mündet wieder in einen Güterweg, auf dem wir direkt zur oberhalb von uns liegenden Bergstation gelangen werden. Die Aussicht auf ein kühles Getränk im Alpengasthof verleiht uns frischen Schwung und lässt uns den moderaten Anstieg gut bewältigen. Außerdem wartet noch die letzte Position auf uns!
Das sechste Kunstwerk befindet sich kurz vor der Bergstation. Ein Fisch mit weit aufgerissenem Maul liegt hier verrenkt auf einem Betonklotz. Auf dem Sockel steht zu lesen: „Blinder Glaube an die Unerschöpflichkeit der Ressourcen“. Ein faszinierender und zugleich beklemmender Anblick. Ein Fisch, so weit weg vom Wasser lässt kaum Zweifel an seinem Schicksal aufkommen. „Diese Position stammt von den Brüdern Christoph und Markus Getzner. Ihre Werke thematisieren sehr oft die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen durch den Menschen, durch seine Gier und durch Unachtsamkeit“, erfahren wir. Ein Thema, das aktueller nicht sein könnte.
Einkehr und Abfahrt
Wenige Minuten später haben wir die Bergstation und damit den Alpengasthof Muttersberg erreicht. Auch wenn inzwischen deutlich mehr los ist, finden wir auf der großzügigen Terrasse rasch einen freien Platz. Während wir noch überlegen, was wir gerne trinken würden, gesellen sich Rebecca Marte und eine ihrer Kundinnen zu uns. Die beiden haben vor, heute den Singletrail am Muttersberg zu fahren. Rebecca kennt die Strecke und ist begeistert: „Dieser Trail bietet wirklich gar alles“. Und sie muss es wissen, schließlich ist die 33-Jährige hauptberuflich als Mountainbike-Guide im ganzen Land unterwegs. Während der Einstieg noch über Waldboden führt, geht es schon bald ans Eingemachte: Steinuntergrund, Spitzkehren und Absätze fordern Können und Konzentration. „Wer Bock auf technisches Fahren hat, ist hier genau richtig“, freut sich Rebecca. Sie kenne sogar Fahrer, die extra aus Deutschland zum Muttersberg kommen, um auf dieser Strecke für die Enduro World Series zu trainieren. Den hervorragend ausgebauten Trail zu verlassen, kommt für die beiden Frauen nicht infrage: Die Grenzen der Natur, die Lebensräume der Tiere und natürlich auch die anderen Gäste am Berg zu respektieren, ist für Rebecca und ihre Kund:innen selbstverständlich.
Wir plaudern noch ein bisschen und machen uns dann langsam aber sicher auf den Weg ins Tal – Rebecca und ihre Kundin auf dem Bike und wir mit der Seilbahn. Als wir unten ankommen, dauert es nicht lange, bis auch die beiden Frauen auf ihren Mountainbikes daherkommen. Mit roten Wangen, leuchtenden Augen und mit Schlammspritzern bis zum Hosenbund steigen die beiden von ihren Bikes und klatschen sich ab. „Das war voll lässig!“ Dem können wir uns nur anschließen. Was auch immer ein unvergessliches Bergerlebnis für einen selbst ausmacht: am Muttersberg hat tatsächlich alles seinen Platz.
Der Alpine Art im Überblick
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01 Komprimierter Weg von Maria Anwander
Wegmarkierungen und Leitsysteme bilden die Grundlage einer sicheren Erkundung des Gebirges. Für die Arbeit „Komprimierter Weg“ wurden sämtliche Markierungen eines fiktiven Wanderweges zu einem Haufen aufgetürmt. Ihrem Kontext entrissen – frei von Sinn und Logik – bilden sie abstrakte Farbfelder inmitten der Landschaft. Durch die Installation sollen Leitsysteme hinterfragt und die vermeintliche Eigenständigkeit, mit der wir uns durch unsere Umwelt bewegen, angezweifelt werden.
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02 Feiger Hochstand von Marbod Fritsch
Der Wald steht als Symbol der meist nur mehr im Urlaub gewünschten ursprünglichen Natur, im Märchen oft als Symbol für das Unbewusste. Der Held entwickelt sich nur weiter, wenn er in den Wald hineingeht. Wenn er es wagt, die Schwelle hin zum animalischen Urgrund zu überschreiten, indem er gesicherten Boden verlässt. Die Auseinandersetzung mit der Kunst von Marbod Fritsch bietet die Chance des assoziativen Hineingehens. In den Wald, ins Unbewusste.
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03 Blickbank von Monika Grabuschnigg
Die Sitzbank als minimaler Eingriff in die Naturlandschaft bietet Raum zum Nachdenken über das Zitat der Schriftstellerin Marlen Haushofer.
Das Edelweiß, eine eingewanderte Blume aus Zentralasien, entzieht sich als einfaches Dekorelement durch seine Vielschichtigkeit jeder Zugehörigkeit und lässt keine einfache Erzählung zu. Es wird zu einem Symbol der Entfremdung, etwas Unwirklichem in der idyllischen Naturlandschaft.
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04 Schlitten von Liddy Scheffknecht
Der Schlitten erinnert an eine fotografische, jedoch dreidimensionale Aufnahme und thematisiert die Beschwerlichkeit der Arbeit der Bauern sowie die Gefahr, die mit dem damals üblichen Transport mit Heuschlitten verbunden war.
In der Bewegung verharrend, aus der Zeit herausgelöst, fixiert die Skulptur einen Moment der Unbestimmtheit: Der hintere Teil hebt sich vom Boden ab, wobei aber offen bleibt, ob sich der Schlitten überschlagen oder seinen Weg zurück auf den Hang finden wird.
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05 Köpfegesellschaft von Alfred Graf
Der Muttersberg ist ein seit Langem besiedeltes Gebiet, in dem neben Landwirtschaft auch Bergbau betrieben wurde. Eine Kapelle und eine Schule wurden errichtet und wieder aufgegeben. So gibt es viele Erinnerungen und Erzählungen, von guten und von schwierigen Zeiten, von harter Arbeit und von Lebensfreude. Ähnlich den Präsidentenporträts am Mount Rushmore in den USA hat Alfred Graf hier eine „Köpfegalerie“ aus zementgebundenem Material vom Muttersberg eingerichtet.
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06 längstentschwunden von Christoph Getzner & Markus Getzner
Das Leben kam aus dem Wasser. Der Fisch ist ein Sinnbild für das Leben. Ein Leben, welches auf diesem Planeten mehr und mehr gefährdet wird, indem wir uns der eigenen Ressourcen berauben. Der Turbokapitalismus, der die Natur in einem zuvor nie gekannten Maße ausplündert, wird unweigerlich eine ökologische Katastrophe heraufbeschwören, wenn kein Umdenken erfolgt, das sich in einem angemessenen Handeln, einem partnerschaftlichen Umgang mit der Natur manifestiert.
Den Alpine Art erleben
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Alpine Art Muttersberg – Kunstwanderweg | Bludenz
Der Muttersberg wird zur Freiluftgalerie! Unterwegs am Kunstwanderweg am Muttersberg!
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3.93 km
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1.3 h
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mittel
Schwierigkeit: mittel Strecke: 3.93 km Aufstieg: 100 m Abstieg: 171 m Dauer: 1.3 h Tiefster Punkt: 1292 m Höchster Punkt: 1391 m Kondition: Erlebnis: Landschaft: Alpine Art Muttersberg – Kunstwanderweg | Bludenz
Der Muttersberg wird zur Freiluftgalerie! Unterwegs am Kunstwanderweg am Muttersberg!
Start der TourMuttersbergbahn Bergstation, Bludenz
Ende der TourMuttersbergbahn Bergstation, Bludenz
BeschreibungDas beliebte Naherholungsgebiet über Nüziders und Bludenz zeigt seine künstlerische Ader. Auf einem Rundweg gestalteten sieben namhafte Künstlerinnen und Künstler sechs Stationen entlang des Weges. Die entstandenen Werke sind so unterschiedlich wie die Künstler selbst und interpretieren deren Sichtweisen auf das Leben in den Bergen. Sie erheben sich mal opulent und von weitem sichtbar in die Höhe, mal sind sie auffällig am Wegrand platziert oder ganz unscheinbar in die Strukturen…
Beste JahreszeitJAN FEB MRZ APR MAI JUN JUL AUG SEP OKT NOV DEZ -
Führungen auf Anfrage:
Singletrail Muttersberg
Länge: 2,1 km
Höhenmeter: 720
Schwierigkeitsgrad: anspruchsvoll