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Familie Brugger Montafon alt neu (c) Peter Rigaud

Neues von gestern

Die historische Fassade aus Stein und Fichtenholz lässt nicht erahnen, wie zeitgenössisch es im Inneren des Hauses zugeht

Altes Haus im Montafon

So lebt es sich in einem alten Haus

Das Domizil sitzt direkt am steilen Hang in der Vorarlberger Talschaft Montafon und ist eine Hommage an die Idee vom
„Erhalt des Erhaltenswerten“.

TEXT: JULIA GROSSE


Der Sohn steht mit seinem Rad vor dem Elternhaus, erbaut 1750, und trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „I Love NY“. New York und Natur stehen einander an diesem Ort ausgesprochen gut! Und im Grunde verdeutlicht diese ungewöhnliche Kombination perfekt, was Familie Brugger hier oben so einzigartig gelungen ist: Sie leben in einem uralten Haus, dem man von außen nicht ansieht, dass im Inneren die Gegenwart herrscht. Besucher, die vom Tal aus den schmalen, geschwungenen Weg das erste Mal hinaufkommen, ahnen beim besten Willen nicht, dass hinter der historischen, höchst rustikal wirkenden Fassade eine fünfköpfige Familie gerade auf ihren reduzierten Designstühlen entspannt oder am iMac arbeitet.

Das Haus, damals sparsam errichtet aus Stein und Fichtenholz, befand sich im Familienbesitz von Otto Brugger, er spielte hier schon manchmal als Kind. Der Grund, warum der Architekt dem historischen Bau in Bartholomäberg überhaupt eine Chance gab, war der gute Bestand. „Er war nicht bis zur Unkenntlichkeit modernisiert und zerstört worden.“ Zwar arbeitete sich die Familie im Innenraum durch zahllose Tapetenschichten, doch die Fassade blieb so weit wie möglich unverändert. Herausgekommen ist ein Eigenheim, in dem das nachhaltige Motto „Erhalt des Erhaltenswerten“ innovativ zelebriert wird.

Er war nicht bis zur Unkenntlichkeit modernisiert und zerstört worden.

Otto-Brugger-(c)-Peter-Rigaud
Haus Brugger Montafon aussen (c) Peter Rigaud

Unser Haus besteht nur noch aus ursprünglich originalen und ganz neuen Bauteilen. Es braucht nach wie vor keine Folien, keinen Estrich und kein Blech.

Otto Brugger, Bauherr und Architekt

„Wir wollten in keinem Fall, dass neue Details eingesetzt werden und wir so tun, als gehörten die zur historischen Struktur“, erklärt Brugger und streicht mit der Hand über eine alte Wand. Man sieht deutlich, wo das Alte im Haus aufhört und wo das Neue beginnt: Elemente wie die weiße Küche oder die Treppe sind eindeutig neu, die Balken oder die eine oder andere von Holzwürmern durchlöcherte Wand dagegen uralt und atmosphärisch.

Im oberen Stock ist Platz für die Eltern und die drei Kinder sowie das Badezimmer, komplett aus Holz. Unten liegen Küche, Arbeitsraum, Esszimmer und Stube um den zentralen Holzofen, der der Familie und der Heizung Warmwasser liefert. Das alles funktioniert dermaßen ganzheitlich und einfach, dass die Bruggers ungeniert behaupten können, dass sie dieses Haus beinahe so energiesparend nutzen wie ihre Vorfahren. Einmal am Tag wird der Ofen eingeheizt, was, so Brugger, nicht länger dauert, als sich am Abend ordentlich die Zähne zu putzen.

Familie Brugger Montafon Terrasse (c) Peter Rigaud
Haus Brugger Montafon alt neu (c) Peter Rigaud

Die Räume haben nur eine Deckenhöhe von rund zwei Metern. Der Mix aus uralter Struktur und Brandneuem gibt einem das Gefühl einer ganz besonderen Reise in die Vergangenheit.

Die Familie schätzt und nutzt die vielseitigen Qualitäten von Holz auf jedem Quadratmeter und ging mit dem Einsatz von neuen Materialien absolut reduziert um. Dabei träumte Hausherrin Katrin eigentlich von einem reduzierten Glas-Beton-Bau. „Inzwischen kann ich mir etwas anderes als unser Haus aber gar nicht mehr vorstellen.“ Und das gewiss nicht zuletzt, weil man permanent das Gefühl hat, als habe sich die Natur genau dieses Haus als Schaubühne für ihr Spiel der Jahreszeiten ausgesucht. Im Winter wandern die langen Schatten durch die Zimmer, im Sommer ist man hier eingebettet in eine sattgrüne Lunge.

Wenn Kinder ein Gefühl für den Wechsel der Jahreszeiten bekommen, dann hier oben.

Katrin Brugger
Das Haus der Bruggers hat schon diverse Architekturpreise gewonnen

Seit sie hier wohnen, hat sich die Perspektive der Familie verändert, und das liegt nicht zuletzt auch an den Fenstern. Wohnten die Bruggers zuvor in einer Dachgeschosswohnung mit verglastem Giebel, scheint ihr jetziges Domizil mit weiter Sicht in die Landschaft regelrecht zu geizen: Statt durch großzügige Panoramafenster schauen sie nun durch kleine, originalgetreu rekonstruierte Fenster. Und genau das habe seinen Vorteil, sagt Otto Brugger. Denn im Grunde schärfen diese kleinen Ausschnitte das gezielte Schauen auf das atemberaubende Panorama viel intensiver: Man blickt und staunt wie durch ein Fernrohr. „Das haben wir absolut zu schätzen gelernt“, findet der Bauherr. So liegen nun alle Zimmer mit bestem Ausblick direkt in die Berge von Silvretta und Rätikon, mit den Rodund- Staubecken zu Füßen.

Im Winter fühlen sich die fünf hier oben wie im Schneeparadies, im Sommer wie in einem grünen Panorama. Und auch die vermeintliche Einsamkeit täuscht. Der nächste Nachbar wohnt tiefer am Hang und in Sichtweite, und überhaupt befinden sich die Bruggers in bester Gesellschaft: „Es gibt eine Adlerfamilie, Rehe, Hasen, Dachse und Füchse!“ Den Garten nutzen die Bruggers, um Gemüse wie die wohlschmeckende Heukartoffel zu pflanzen.

Draußen schiebt sich die Sonne ohne Eile hinter das Bergmassiv, drinnen macht Otto Brugger die Lichter an. Vor dem Haus rasen die beiden Jungs mit Fahrrad und Roller noch eine letzte Runde den Kiesweg entlang, die kleine Schwester rennt kichernd hinter den Brüdern her, daneben führt die Wiese steil nach unten. „Dieses Steile haben die Kinder absolut verinnerlicht“, beruhigt die Mutter.

Dadurch, dass sie nichts anderes kennen, passen sie instinktiv auf. Sind wir dagegen in Metropolen wie New York unterwegs, wundern sie sich, wenn die Autos nicht auf der Stelle ihretwegen anhalten ...

Haus Brugger Montafon innen (c) Peter Rigaud
Haus Brugger Montafon Terrasse (c) Peter Rigaud

Die Holzwürmer waren über die Jahrhunderte fleißig: Heute nutzen die Bruggers die alten Wände, um dort Bilder und Accessoires aufzuhängen. Die neuen Holzwände bleiben dadurch verschont