C Projekt Türen am Arlberg © Dietmar Denger / Vorarlberg Tourismus
Die Kunst ist der Weg
Verschiedene Skulpturen und Kunstobjekte am Wegrand in Lech Zürs am Arlberg
C Projekt Türen am Arlberg © Dietmar Denger / Vorarlberg Tourismus
Verschiedene Skulpturen und Kunstobjekte am Wegrand in Lech Zürs am Arlberg
Daniel Nikolaus Kocher hat für den Wanderweg Grüner Ring am Arlberg verschiedene Skulpturen und Kunstobjekte erschaffen. Diese oft temporären Installationen beflügeln den Geist und die Fantasie. Und dann gibt es da auch noch moderne Fabelwelten, die Wanderer aller Altersklassen in ihren Bann ziehen. Ein Rundgang ...
TEXT: STEFAN NINK
Letzten Sommer hat er sich zum Abschluss nochmal versteckt, hinter einem Felsen, oben am Zürser See. Daniel Nikolaus Kocher kontrollierte gerade eine der Türen, als er Stimmen von Wanderern hörte. Also ist er in Deckung gegangen und hat gemacht, was er immer macht, wenn er auf dem Grünen Ring unterwegs ist: beobachten, wie die Leute der Kunst hier oben begegnen. Nun ist es ja ziemlich ungewöhnlich, wenn man hoch über Lech auf einer Wiese um die Ecke kommt und plötzlich vor einer verschlossenen Tür steht. „Da erlebst du immer ganz unterschiedliche Reaktionen“, sagt Kocher. Aber so was wie neulich am Zürser See? „Zwei von den Wanderern sind tatsächlich um die Tür herumgelaufen, als sei die überhaupt nicht da. Die sind einfach im gleichen Tempo weitergegangen.“ Der Kurator des Türen-Projektes und künstlerische Leiter des Grünen Rings war sprachlos hinter seinem Felsen, so etwas hatte er noch nie erlebt. Und die anderen aus der Gruppe? Die haben auf die Tür reagiert, erzählt er. Das machten auch eigentlich alle. Sie seien mehrmals durch sie durch und wieder zurück, und anschließend hätten sie Selfies gemacht. „Die haben sich mit der Kunst auseinandergesetzt, jeder auf seine Art. Genau deshalb hatten wir sie da oben am Grünen Ring installiert.“
„Da oben“, der Grüne Ring: Das ist ein Wanderweg, der in 2.000 Meter Höhe rund um Lech am Arlberg verläuft und seit einigen Jahren neben den spektakulären 180-Grad-Panoramen auch Begegnungen mit der Kunst ermöglicht. Die Bregenzer Schriftstellerin Daniela Egger hat eine komplette Sagenwelt für die Strecke erfunden, Daniel Nikolaus Kocher die passenden Skulpturen dazu angefertigt. Dazu kamen nach und nach u. a. eine Hüttenbibliothek (in der jeder die passende Lektüre für eine Wanderpause findet) sowie eine Installation an der Europäischen Wasserscheide (an der man sehen kann, wie das Wasser auf der einen Seite Richtung Nordsee fließt und auf der anderen in Richtung Schwarzes Meer). Gleich hinter der Bergstation der Petersbodenbahn sind auf den Steinen der sechzig Meter langen „Lecher Mauer“ die Namen aller Ortsbewohner archiviert, gewissermaßen als ehernes, unvergängliches Pendant zur digitalen Datenspeicherung unten im Tal. Und ein paar Schritte weiter steht dann ein Briefkasten mit Postkarten, die Urlauber an Ort und Stelle schreiben und einwerfen können. Die Lech Zürs Tourismus GmbH kümmert sich zum Ende der Wandersaison ums Porto: „Entleerung jährlich 16 Uhr“.
Für die schönsten „Was ist denn das?“-Momente aber haben in den vergangenen drei Sommern die Türen gesorgt, die neun Künstler aus fünf verschiedenen Ländern entworfen hatten. Auf einer waren Zeilen aus einer Erzählung geschrieben, auf einer anderen klebte ein kleines Schild mit dem Wort „frei“, was unter dem endlos gespannten Himmel über Lech sofort Assoziationen auslöste. Und noch eine andere Tür sah aus wie eine – ganz normale weiße Tür. Erst wenn man dicht vor ihr stand, entdeckte man ein Guckloch, durch das man hindurchsehen konnte. Die scheinbar unendliche Welt der Gipfel und Grate wurde dann plötzlich ganz klein und überschaubar. Im Herbst 2019 wurden die Türen vom Berg geholt. Jetzt kann man sie sich bei ihren Türpaten anschauen, bei denen sie einen neuen Standort gefunden haben.
Der Grüne Ring lässt sich in drei Tagesetappen erwandern, an deren Ende man jeweils zurück ins Tal fährt. Begegnungen mit der Kunst hat man aber auch, wenn man bloß eine Stunde Zeit hat und ein paar hundert Meter in die Vorarlberger Gebirgswelt hineinläuft, zusammen mit den Kindern, für die es einen eigenen Rätsel-Ring gibt. Die Kunst soll für alle da sein, nicht bloß für die, die am Tag 25 Bergkilometer schaffen. Und es soll immer andere Begegnungen mit ihr geben. Immer wieder installiert Kocher kleine, temporäre Werke am Wegesrand, für die er kaum oder überhaupt nicht in die Natur eingreifen muss und die irgendwann ein paar Jahre später dann wieder verschwunden sind. Urlauber sollen regelmäßig etwas Neues erleben, sagt er. Wer den Grünen Ring bereits gewandert ist, soll beim nächsten Mal andere Kunst entdecken können. Und damit im besten Fall auch eine neue Bergwelt.
„Wenn man Kunstwerke aus ihrem Kontext nimmt und in einen neuen setzt, hat das immer auch Einfluss auf die Umgebung“, meint Kocher: „Sie verändern dann auch die Art und Weise, wie man die Natur wahrnimmt.“ Die Kunst am Grünen Ring setzt Akzente, und weil sie für den Wanderer oft unvermittelt auftaucht, verändert sie seinen Blick auf einige der schönsten Gipfel-und-Tal-Panoramen Österreichs. Außenräume spürbar machen, nennt Daniel Nikolaus Kocher das. Man könnte auch sagen: Den Kunstwerken am Grünen Ring gelingt es, dass man die Landschaft über Lech anders betrachtet. Man sieht plötzlich Dinge, die man sonst und ohne die Begegnung mit der Kunst nicht bemerkt hätte.
Den meisten Wanderern auf dem Grünen Ring gefallen solche Gedankenspiele, und Kinder mögen die Kunst in freier Natur sowieso. Einmal im Jahr veranstaltet Daniel Nikolaus Kocher mit der Raiffeisenbank Lech einen Workshop für Kinder, bei dem der Naturraum am Libellensee künstlerisch gestaltet wird – mit Tieren aus Holz, Leder, Stein und Farbe.
Man kann also nicht bloß der Kunst begegnen, sondern sich bei solchen Aktionen auch beteiligen. Und manchmal trifft man den Künstler auch beim Wandern. Kann Fragen stellen, bekommt Antworten. Wenn Kocher sich nicht gerade hinter einem Fels versteckt.
Daniel Nikolaus Kocher (geb. 1981) ist seit 2009 künstlerischer Leiter des Grünen Rings. Er hat sich auf Kunstprojekte in der Natur und an ungewöhnlichen Orten spezialisiert.