C Jonathan Burger vor dem Hirschen Schwarzenberg © Angela Lamprecht / Vorarlberg Tourismus
„Für den ‚Hirschen‘ lass’ ich mein Strandhaus in Neuseeland stehen“
Jonathan Burger
C Jonathan Burger vor dem Hirschen Schwarzenberg © Angela Lamprecht / Vorarlberg Tourismus
Jonathan Burger
Jonathan Burger ist Chefkoch im Hotel Gasthof Hirschen in Schwarzenberg. Beim Besuch vor Ort sinniert er über das Reizvolle an seinem Beruf, die Herausforderung, diesen in dem renommierten Haus auszuüben und die Haltung als junger Leiter einer kreativen Küchenriege. Als Kostprobe bereitet er eine regional interpretierte Ceviche.
TEXT: DANIELA KAULFUS
August 2019
Seit 1755 thront das Haus mitten im Ort, etwas erhaben über Kirche und Dorfbrunnen. Nach dem großen Brand, dem das damalige Zentrum von Schwarzenberg zum Opfer fiel, wurde es gleich wieder erbaut. Er hat viel erlebt, der ‚Hirschen‘. Hat Generationen von internationalen Gästen kommen und gehen sehen. Stets erfüllt von Kunstsinn und Kreativität, kommt dies bis heute unter anderem in den individuell eingerichteten Künstlerzimmern, der bunten Veranstaltungsreihe „wälderness“ und nicht zuletzt in der Kulinarik formvollendet zum Ausdruck.
Für den Genuss zeichnet das zehnköpfige junge Team unter Chefkoch Jonathan Burger verantwortlich. Der selbst erst 29-Jährige schwang den Kochlöffel noch vor zwei Jahren in Neuseeland, bevor ihn Hotelier Peter Fetz, der selbst gerade in die Fußstapfen des Vaters getreten war, an den Herd des Schwarzenberger Traditionshauses holte. „Für den ‚Hirschen‘ habe ich mein Strandhaus gerne stehen lassen“, merkt Jonathan Burger lachend an, schlendert mit den Besuchern in den großen Gastraum, setzt sich und lässt seine tätowierten Arme auf dem Tisch aus früher Handwerkskunst ruhen. Hier treffen Epochen auf harmonische Weise aufeinander.
Für den jungen Wolfurter war es eine Art Heimkommen. Seine Lehre hatte er bereits im Bregenzerwald absolviert, was er damals weniger als Privileg sah als heute. „Mir ist erst nach der Ausbildung aufgefallen, wie schön die Gegend ist“, gibt Burger zu. Heute schätzt er sie umso mehr und schöpft aus ihr Kraft und Kreativität. „Die Ruhe, die Natur und die Gelassenheit sind der ideale Ausgleich. In meinem Job muss man viele Aufgaben delegieren, organisieren, rezeptieren, Angebote schreiben, Produkte bestellen. Kreativ bin ich, wenn ich draußen bin, zum Beispiel an der Bregenzer Ach beim Kräuter- und Kleepflücken. Das klingt romantisch, ist mir aber wichtig, um den Kopf freizukriegen. Oder auf dem Berggipfel mit Blick über den Bodensee.“
Sein Können gibt er gerne weiter. Bereits mit 22 Jahren leitete er ein Team, drei Jahre lang lernte er bei Starkoch Christoph Zangerl. „Er hat mir führungstechnisch viel mitgegeben. Die soziale Kompetenz in der Küche wird oft unterschätzt. Man arbeitet intensiv in kleinen Räumlichkeiten zusammen, oft unter Stress. Da ist die Motivation von Mitarbeitern das Um und Auf.“ Was das heißt, gibt er klar zu Protokoll: „Erstens: nie schreien, schließlich haben wir ein gemeinsames Ziel. Zweitens: Ich lasse alle kreativ sein, deshalb sind bei unseren Meetings die Lehrlinge und Abwäscher dabei. Jeder denkt anders, und das ist gut. Es bringt nichts, wenn ich einfach mein Ding durchsetze“, spricht Burger aus Erfahrung und man nimmt es ihm bedenkenlos ab.
Eine klare Linie fährt er bei der Produktauswahl. „Gut drei Viertel unseres Gesamteinkaufs sind dank unserer guten Kontakte zu heimischen Erzeugern regional, und ich bin dran, das weiter zu steigern. Beim Fleisch funktioniert das gut. Beim Gemüse würde ich mir mehr erhoffen, bin aber froh, dass es den Bio-Bauernhof Vetter in Lustenau gibt. Es wäre schön, wenn es mehr innovative Gemüsebauern gäbe“, sagt er.
Der Blick schweift entlang der riesigen, mit Holunder und Beeren gefüllten Glasgefäße über der Bar, an der allabendlich Hausgäste und Einheimische eine gute Zeit verbringen. „Holunderessig“, „Kombucha“, „Raspberry Shrub“ ist auf ihnen zu lesen – alles aus der Umgebung und natürlich hausgemacht. Regionalität sei „Fluch und Segen“, schmunzelt Burger und setzt nach: „Sie spornt an und ich habe gelernt, damit umzugehen. Wir wecken viel ein und fermentieren. Wenn zum Beispiel der Holunder blüht, wird’s arbeitsintensiv. Wir haben viel Lagerfläche, das kommt uns sehr zugute“, sagt er. „Mit unserem Konzept der ‚Carte blanche‘ kann ich komplett regional fahren. Wenn ein Bauer vier Ziegen hat, dann bieten wir sie an. Ist das Gericht aus, dann gibt’s eben etwas anderes aus der Region.“
Durch den schmalen, heimeligen Gang des ‚Hirschen‘ geht es in die Katakomben des Hauses, in Burgers Wirkungsstätte. Heute steht Fisch auf der Karte – wenn auch „nur“ als Kostprobe für die Besucher. „Ich mache eine Ceviche, ein leichtes Sommergericht, das seinen Ursprung in Südamerika hat. Natürlich regional interpretiert“, schürt der junge Chefkoch die allgemeine Neugier. In der Küche hantieren Kolleginnen und Kollegen an Toastbrot und frischen Kräutern zur Vorbereitung für den Abend. Unter den Duft mischen sich dezent Balsamico und Zitrone – Zutaten des Einlegesuds, in dem der weiße Spargel seit Mai „gart“. Daneben, auf dem blitzblanken Nirosta, liegen Seeforelle, Dille, Forellenkaviar und exotisch anmutende Korianderblüten „vom Vetterhof aus Lustenau“, verrät Burger und ergänzt: „Man würde nicht denken, was regional alles möglich ist.“ Mit flinken Griffen entgrätet, enthäutet und filetiert er den Fisch, schneidet ihn in dünne Scheiben und richtet ihn gekonnt auf dem Teller an. Darauf hobelt Burger hauchdünn den Spargel, zupft Dille darüber, garniert dezent mit Kaviar und den Korianderblüten. Vorsichtig gießt er den Holunderessig über das Gericht. „Hier ist fein geschnittener Chili drin. Allerdings so wenig, dass der Gast ihn nicht wirklich wahrnimmt, er aber ein intensiveres Geschmackserlebnis hat als sonst.“
Der Weg zum Gast führt die Treppe hinauf, den engen Gang entlang in die Stube, die direkt neben dem Haupteingang des ‚Hirschen‘ liegt. Das gemütliche Ambiente lädt zum Verweilen und Genießen ein. Wer hier selbst schon Gast war, weiß das. Jonathan Burger lässt sich auf der Eckbank nieder und philosophiert über kulinarische Entwicklungen. „Ich folge keinen Trends“, erklärt er. „Aber ich reduziere immer mehr. In den vergangenen Jahren waren mir meist zu viele Komponenten auf dem Teller. Wir müssen Menüs für kleine Gruppen vorbereiten und auch für hundert Personen und mehr. Durch Reduktion bleibt wenig übrig, man kann alles brauchen.“ Rezepte erstellen er und sein Team selbst. Sein Zugang: „Ich schaue seit Monaten keine Kochbücher mehr an, das ist meine wichtigste Erkenntnis. Sie regt zu mehr Kreativität an. Ich nutze mehr Fachliteratur, zum Beispiel fürs Einwecken und Fermentieren.“ Dennoch stehen selbstverständlich auch Schnitzel, Kässpätzle und Riebel auf der Karte. „Wir fahren nicht nur die Kreativschiene. Der ‚Hirschen‘ ist ein Traditionshaus, wo Gäste im Winter nach dem Skifahren ihre Spätzle oder den Tafelspitz und einen Schnaps bekommen. Das ist unser Anspruch.“
Burgers Intention ist es auch, das Gastgewerbe jung und fit zu halten. Deshalb bildet er gerne Lehrlinge aus – aktuell sei eine Stelle offen. „Mir taugt es, junges Leben in unsere Branche zu bringen, junge Leute für den Beruf zu begeistern. Auch unsere Klientel ist gemischt. Es fällt auf, dass immer mehr Junge zum Essen kommen und sehr offen für gewisse Gerichte sind. Wir kochen ja ganze Tiere, auch Innereien. Die Gäste probieren das und es schmeckt ihnen. Für mich ist das eine wichtige Motivation, dass alles verwertet wird und die alte Gasthaustradition weiterlebt.“
Nach der Kostprobe in der Stube führt Jonathan Burger durch den sonnigen Garten. „Wir sind gerade dran, den Kräutergarten zu erweitern, vor allem für spezielle Kräuter wie zum Beispiel Estragon.“ Er zupft einige Stängel ab und verteilt sie in der kleinen Gruppe. Finger reiben daran, der Duft steigt in die Nase. Bald sollen einige Blumenbeete den aromatischen Pflanzen weichen. Beim Flanieren durchs üppige Grün Richtung Seminarhaus kann man sich das sehr gut vorstellen. Kräuterduft und verschiedene Grüntöne regen nicht nur den Appetit an, sondern auch die Kreativität. Bei Burger und seinem Team zeigt dies jedenfalls Wirkung.