Im Schnee lesen
Lawinenwarndienst in Vorarlberg
Experten wie Andreas Pecl sorgen dafür, dass möglichst wenige Menschen von Lawinen überrascht werden. Der Mitarbeiter des Vorarlberger Lawinenwarndienstes – der 1953 als erster in Österreich gegründet wurde – interpretiert dafür täglich eine umfangreiche Datenmenge und erstellt im Team den aktuellen Lawinenlagebericht.
Eine laminierte Speisekarte und eine Serviette: Mehr braucht er nicht, um zu erklären, wie Lawinen entstehen
Die glatte Speisekarte, das ist eine Schicht Schnee an einem Hang, die schon älter und vereist ist. „Fällt neuer Schnee, legt er sich über eine glatte Oberfläche“, sagt Andreas Pecl und lässt die Serviette auf die Speisekarte fallen. „Zuerst passiert nichts. Wenn der neue Schnee aber aus irgendeinem Grund in Bewegung gerät, dann …“ Er neigt die Speisekarte, und sofort rutscht die Papierserviette herunter. „So funktioniert eine Lawine“, meint Pecl. Früher dachte man, Lawinen seien Geisterwerk. Heute weiß man: Etwa 90 Prozent der Schneebretter werden von genau jenen Personen ausgelöst, die man anschließend aus den Schneemassen retten muss.
Andreas Pecl ist einer von Vorarlbergs Lawinenwarndienstlern …
… welcher im Winter praktisch „rund um die Uhr“ Messwerte, Wettervorhersagen, Schneedeckenuntersuchungen, Beobachtungen und Rückmeldungen auswertet und interpretiert. Am Morgen wird dann der aktuelle Lawinenlagebericht mit Gefahrenbeurteilung, Schneedeckenbeschreibung, Hinweisen zu potenziellen Gefahrenstellen sowie regionalen Gefahrenstufen erstellt und veröffentlicht. Die Daten dazu kommen von zahlreichen im Land verteilten automatischen Messstationen, Rückmeldungen von Lawinenkommissionen und Bergführern, eigenen Geländeerkundigungen und den regionalen Beobachtern, welche täglich am frühen Morgen verschiedene spezifische Schnee- und Wetterdaten übermitteln – z. B. Temperatur, Schneehöhen, Schneebeschaffenheit, Wind, beobachtete Lawinenabgänge, regionale Gefahreneinschätzung.
Diese Leute haben viel Erfahrung und wissen, was sie tun. Und ich kann sie anrufen. Mit Messstationen kann ich nicht reden.
Männer wie Pecl können im Schnee lesen wie in einem Buch. Nehmen sie eine Probe, erkennen sie in ihr den Regen vom Januar wieder, die Trockenperiode im Februar und die vielen Sonnentage im Frühjahr.
So oft wie möglich ist Andreas Pecl auch selbst im Gelände unterwegs
Er brauche den direkten Kontakt mit dem Schnee, sagt er, müsse sein Knirschen unter den Ski hören, müsse ihn mit den Händen greifen und pressen, nur so könne er einschätzen, ob die theoretischen Werte mit der Realität übereinstimmten. Etwa 85 Prozent der Vorhersagen seines Teams seien korrekt, meint Pecl, in zehn Prozent aller Fälle stufe man die Gefahr zu hoch ein – und in fünf Prozent unterschätze man sie. „Die wirklich schwierige Aufgabe ist es, aus der umfangreichen Datenmenge die Daten herauszufiltern, die relevant sind.“ An manchen Tagen widerspricht sein Bauchgefühl den objektiven Daten. Dann vertraut Andreas Pecl seiner Intuition.