C Matthias Honeck © Michael Kreyer
Der Himmel voller Geigen
Im Gespräch mit Matthias Honeck
C Matthias Honeck © Michael Kreyer
Im Gespräch mit Matthias Honeck
Im Gespräch mit Matthias Honeck
TEXT: MIRJAM STEINBOCK
Matthias Honeck hat den Sommer 2022 in Vorarlberg verbracht. Als Mitglied der Wiener Symphoniker und verantwortlich für die zweiten Violinen gaben er und die von ihm gespielte „Amati“ der Bregenzer Festspieloper „Madame Butterfly“ eine Stimme. Der Profimusiker ist Vater von vier Kindern, lebt vorwiegend in Wien und streicht während der Festspiele im Sommer Heimweh ab, wenn er mit der Familie in seinem Elternhaus lebt und sich mit Vorliebe in den Nenzinger Himmel zurückzieht.
Matthias Honeck stammt aus einer Künstlerfamilie und führt die Erfolgsgeschichte seines Vaters, Dirigent Manfred Honeck, und seines Onkels und Lehrers, Konzertmeister Rainer Honeck, gemeinsam mit seiner Schwester Anna Maria für das Musikfestival :alpenarte im Bregenzerwald fort. Seit Oktober 2022 präsentieren sie als neues Leitungsteam ihr Programm für junge Menschen auf und vor der Bühne und ergänzen es mit einem originellen Vermittlungskonzept. Im Interview mit Vorarlberg Tourismus erzählt Matthias Honeck unter anderem von seinen Vorlieben und Visionen, inwiefern junge Menschen in Musik eingebunden werden können und dass die Beziehung zu seiner rund 400-jährigen Geige durchaus leidenschaftlich ist. Das Gespräch führte Mirjam Steinbock.
Herr Honeck, Sie haben in Feldkirch, Zürich und Wien studiert und 2011 mit dem Magister abgeschlossen. Im selben Jahr wurden Sie zum Ensemblemitglied der Wiener Symphoniker und wurden 2019 zum ersten Stimmführer der zweiten Violine ernannt. Das hört sich ein wenig streng an, ist das so?
Ja, schon. Man trägt mit der Aufgabe Verantwortung für eine Gruppe und muss für ein gutes Zusammenspiel sorgen. Wir Stimmführer kommunizieren an den ersten Pulten mit den anderen vorderen Streichern. Man muss sich sehr gut verstehen, absprechen und gewisse Dinge auch nachbesprechen. Das erfordert Vorbereitung. Man schaut sich vorab also die Partituren an und hört die Stücke. Im Idealfall kennt man als Stimmführer das Stück besser als die Anderen in der Gruppe. Es kommt auch vor, dass wir mehr Verantwortung übernehmen müssen, weil sich Dirigent:innen in der Oper beispielsweise mehr auf den Gesang konzentrieren müssen.
Wie kommt man in diese Position?
Über ein international ausgeschriebenes Probespiel, an dem auch wir Mitglieder des Orchesters teilnehmen können. Das haben mit mir weitere unserer Gruppe gemacht und ich habe Glück gehabt.
Neben Glück auch viel Können, nehme ich an.
Ja (lacht), ich habe schon viel dafür getan, das war eine monatelange Vorbereitungszeit. Die Kolleginnen und Kollegen haben es mir aber auch sehr leicht gemacht. Es ist nicht unbedingt einfacher, wenn man sich aus dem eigenen Orchester heraus bewirbt, weil die Gruppe hinter einem stehen sollte. Sie muss dir vertrauen können und dir abnehmen, was du da vorne machst. Dass ich die Stelle bekommen habe, empfinde ich auch als Bestätigung dafür, dass mir die Gruppe vertraut. Das freut mich natürlich ganz besonders.
Sie haben mehrere Leitungspositionen im musikalischen Bereich. Neben dem Honeck-Quartett, das jährlich in Hohenems auftritt, sind Sie auch künstlerischer Leiter der Wiener Streichersolisten.
Das ist ein elfköpfiges Streicherensemble, bei dem es um den Wiener Klang geht. Kolleginnen und Kollegen der Philharmoniker spielen hierfür mit den Wiener Symphonikern zusammen, das ist ziemlich speziell für ein Ensemble. Dieses Zusammentreffen beider Orchester ist ein sehr befruchtender Austausch und zwar, weil wir vom Klang her auf einer Wellenlänge sind, das funktioniert bei uns sofort. Beteiligt sind auch relativ junge Kolleg:innen, eine gute Mischung macht es aus.
Ist das Experimentierfreudige und Frische nur bezeichnend für die junge Musikgeneration?
Nicht unbedingt. Jemand mit viel Erfahrung kann oft viel schneller reagieren, weil er gewisse Dinge schneller erfassen kann. Junge Kolleg:innen setzen vielleicht eher auf eine spontane Entscheidung, die daneben liegen könnte. Die Erfahrung macht oft sehr viel aus, gleichzeitig ist das Spielen eine körperliche Sache und wenn man kurz vor der Pension steht, spürt man das mehr und kann sich vielleicht nicht mehr so bewegen, aber trotzdem alles frisch spielen. Mir gefällt, wenn man es auch sieht, dass jemand Freude am Spiel und Spaß hat. Und das überträgt sich schlussendlich auch auf das Publikum.
Beim Spiel auf dem See in Bregenz ist das Orchester im Festspielhaus, während die Darstellenden auf der Seebühne spielen. Wie wirkt sich das auf Sie als Musiker aus?
Es ist klar, dass die Oper hier nicht so ist wie in einem Opernhaus. Das hat aber verschiedene Aspekte, nicht nur, weil wir übertragen werden nach außen, sondern auch, weil die Seebühne eine Open Air-Bühne ist. Wir fühlen die Sängerinnen und Sänger auch nicht so wie es im Graben der Fall wäre. Das ist das Schöne an der Hausoper in ihrer herkömmlichen Form. Da können wir auf die Dynamik reagieren. Wenn bspw. eine Spur leiser gesungen wird, dann können wir sofort darauf eingehen. Beim Spiel auf dem See bekommen wir den Gesang über den Monitor in den Saal übertragen, d.h., die Nuancen nimmt man natürlich viel weniger wahr. Aber irgendwann weiß man ungefähr, wo man steht, und draußen wird der Ton auch wieder gemischt, es muss ja ein Gesamtkunstwerk ergeben. Das ist in gewisser Form eine Kompromisslösung, die aus meiner Sicht bestmöglich umgesetzt ist.
Kleiner Einschub zum Thema Instrument: Sie spielen auf einer Violine, die von den Brüdern Amati Anfang des 17. Jahrhunderts erbaut wurde. Das ist sicher ein riesiges Erbe und es hört sich auch nach einer intensiven Partnerschaft an.
Übertrieben gesagt ist es wie eine Ehe (lacht). Manchmal bin ich nicht gut drauf, manchmal ist sie nicht gut drauf. In Bregenz gibt es Luftunterschiede mit Feuchtigkeit, das spüre ich bei diesem alten Instrument sehr. Die kleinen Risse in der Amati sind zwar alle geleimt, aber wenn sich mal was verschiebt, kann sie auch mal „z´wider sein“, wie man auf Wienerisch sagt. Und da muss man wissen, wie man sie besänftigen kann. Manchmal gibt sie mir alles, dann denke ich, wow, das geht heute, genial! Im Prinzip ist sie ein bisschen wie ein Lebewesen. Das Holz arbeitet, natürlich kann ich gewisse Parameter bestimmen mit verschiedenen Saiten, mit einer Erhöhung des Steges oder dem Einsatz des Bogens, aber im Prinzip ist es ein aufeinander Reagieren. Ich bin sehr glücklich, dass mir diese tolle Violine von der Merito String Instruments Trust GmbH zur Verfügung gestellt wird!
Zurück in den Konzertsaal, in dem das Musikerlebnis einzigartig ist und große Resonanz- und Klangräume entstehen können
Da komme ich gern zum Wiener Streicher-Klang, von dem ich ein Verfechter bin, der ist meine große Leidenschaft. Es gibt verschiedene Nuancen, die einen Unterschied etwa zu einem deutschen oder amerikanischen Orchester machen, und ich finde, dass man das im Saal auch spüren kann. Das Transportieren einer Botschaft, von Emotionen, von etwas, das auch von innen heraus etwas bedeutet und nicht auf Perfektion und technische Parameter aus ist, passt übrigens zum Wesen der :alpenarte. Wir Musikerinnen und Musiker wollen den Zuhörenden immer Etwas geben. Für mich reicht es schon, wenn ich nur eine Person berühren konnte. Wenn die anders aus dem Saal herausgeht und sagt: „Das hat mir jetzt viel gegeben“, dann hat sich das Konzert schon rentiert. Darin liegt der Kern und dieser Aspekt war z.B. bei der Entscheidung für die :alpenarte sehr wesentlich.
Wir Musikerinnen und Musiker wollen den Zuhörenden immer etwas geben. Für mich reicht es schon, wenn ich nur eine Person berühren konnte.
Wie sind Sie zur Leitung dieses Festivals gekommen?
Ich kenne die Festivalinitiatoren Jakob Greber und Hans Metzler vom Adventskonzert Schwarzenberg, das wir mit den Streichersolisten spielen. Die beiden dachten, die :alpenarte könnte etwas für mich sein und haben mich einfach angefragt. Ich habe mir dann einige Monate Bedenkzeit gegeben, weil ich einerseits eine Form von Intendanz bisher nicht gemacht habe und die Verantwortung zuerst einmal überdenken musste. Andererseits wollte ich sehen, ob mir Schönes und Visionäres für das Konzept einfällt und da bin ich auf eine ziemlich lange Liste gekommen. Ein Knackpunkt war, dass ich aus dem rein operativen, künstlerischen Bereich komme und jemanden brauche, die oder der mir im Management zur Seite stehen kann. Das hat meine Schwester Anna Maria zum Glück übernommen. Sie hat im Konzerthaus Wien als Referentin des Intendanten eine sehr ähnliche Position wie bei der :alpenarte und unterstützt mich tatkräftig mit Verträgen und dergleichen.
Denken Sie, dass es hilfreich ist, aus einer Musikfamilie zu kommen und damit auf das professionelle Schaffen eingestimmt zu sein?
Ja, auf jeden Fall. Wir haben ein großes Netzwerk, das ist ein Vorteil, der dem Festival zugute kommt. Wir kennen die Abläufe, Agenturen und Manager und haben entsprechende Kontakte zu Künstler:innen.
Ihre Vision, was das Festival sein oder werden soll, ist auf der Website sehr bildreich beschrieben und fokussiert auf die Einbindung und Vorstellung von internationalen wie regionalen Akteur:innen.
Das Ziel der :alpenarte ist, junge Musikerinnen und Musiker zu präsentieren. Jung ist relativ, wir konzentrieren uns auf jene unter 30 Jahren und achten auf höchste Qualität. Bei einigen Instrumenten und Disziplinen ist man erst später auf einem gewissen Niveau, daher gibt es keine eindeutige Altersgrenze.
Sie sprechen mit dem Programm ein Publikum mit musikalischer Erfahrung und ohne an. Reicht es, sich ohne Erfahrung Konzerte von hoher Qualität anzuhören oder ist Vermittlung notwendig?
Ich bin eher auf der Linie, dass man immer etwas mitnehmen kann. Und doch sollte man den Leuten auch ein Mehr an Wissen anbieten, wenn sie das wollen. Musik hat immer eine Aussage, egal ob sie modern oder alt, barock oder romantisch ist. Natürlich kann es ein Vorteil sein, wenn man einen Kontext kennt, aber ich bin nicht überzeugt davon, dass es immer ein Vorteil sein muss.
Wie meinen Sie das?
Ich kenne das von mir selbst, wenn ich eine Symphonie zum hundertsten Mal höre, dann habe ich gewisse Erwartungen. Ich weiß, da kommt jetzt dieses Hornsolo und das möchte ich in einer bestimmten Art hören. Wenn der oder die das dann anders spielt, dann habe ich schon eine vorurteilsbehaftete Erwartung, die das Überraschende nimmt. Ein schönes Beispiel ist das Adventskonzert in Schwarzenberg. Dorthin kommen sehr viele Leute, die sonst nie ins Konzert gehen. Wir spielen dort immer sehr umgängliche Programme, streuen aber immer auch einzelne Stücke ein, die nicht so zugänglich sind. Danach kommen oft Menschen auf uns zu und sagen, ihnen habe das Gesamtpaket gefallen. Was genau der Grund dafür ist, können sie meist gar nicht sagen, aber für mich heißt das, in der Musik bereichernd gewesen zu sein. Wenn aber jemand Details will, finde ich wichtig, dass man sie anbietet und das möchten wir mit der :alpenarte tun.
Dort wird es auch Musikvermittlung geben?
Die machen wir vor allem für Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 18 Jahren. Das ist nicht neu, aber wir wollen es größer und professionell aufziehen mit Musikervermittler:innen, die jungen Menschen den Einstieg erleichtern. Es hat mich vor und während der Pandemie stark beschäftigt, welchen Stellenwert die Kunst, welchen die Musik für ein junges Publikum hat. Wir hatten damit ja vorher schon ein Problem in der Klassikwelt, das kann man nicht wegdiskutieren. Ein Besuch z.B. in einem renommierten Konzerthaus ist natürlich auch teuer. Mit der :alpenarte möchten wir eine nachhaltige und zugängliche Basis schaffen. Dazu laden wir regionale wie auch international tätige junge Musiker:innen ein, die teilweise mit 20 Jahren schon Stars sind. Wir versuchen, dass im Programm von allem etwas dabei ist, z.B. machen wir in diesem Jahr ein Konzert mit A Capella Ensemble und Blechbläsern, das freut mich ganz besonders, weil ich es so auch noch nicht erlebt habe. Uns ist das Gesamterlebnis wichtig und dass man nicht nur wegen eines Stücks das Festival besucht, sondern auch wegen der Begegnung mit Menschen und für ein Gespräch mit den Künstler:innen. Oder wegen eines guten Essens und weil man sich bei der :alpenarte wohl fühlt.
Wie würden Sie selbst jungen Menschen klassische Musik schmackhaft machen?
Grundsätzlich glaube ich, dass es für sie wichtig ist, etwas zu spüren und interaktiv eingebunden zu werden. Also wirklich mal hineinblasen in eine Trompete, damit sie erfahren, wie sie Klang erzeugen. Dazu haben tatsächlich Viele noch nie die Möglichkeit gehabt, weil das vielleicht in der Familie keine Rolle gespielt hat oder zu teuer war. Das Interaktive wollen wir in der Festivalwoche leistbar anbieten. Junge Menschen bis 14 Jahre können das Festival gratis besuchen, für 14- bis 25-Jährige gibt es ermäßigten Eintritt, damit es eine wirklich leichte und keine finanziell abhängige Entscheidung ist, zu uns zu kommen. Wir wollen, dass die Jungen kommen, auf der Bühne und vor der Bühne, darum bemühen wir uns persönlich. Es wäre so schön zu sehen, wenn verschiedene Generationen zusammenkommen und sich austauschen. Für nächstes Jahr haben wir beispielsweise Workshops mit Ensembles geplant.
Um in Berührung und in Beziehung zu gehen?
Auf jeden Fall auch in die persönliche Beziehung. Wir haben leider nur eine Festivalwoche dafür, vielleicht werden wir es später einmal ausweiten. Ich denke, dass es für die Region und vielleicht sogar für die Politik und die Kunstschaffenden hier ein Zeichen sein kann. Wir sind sehr zuversichtlich.
Das Thema Nachhaltigkeit zieht sich über die Kunst hinaus durch bis zum fairen Essen.
Wir wollen vor den Konzerten im Foyer regionale Künstler:innen vorstellen. Es gibt dort eine kleine Bühne und man kann bei Speis‘ und Trank zuhören und auch mit den Künstler:innen ins Gespräch kommen. Bis zum Hauptkonzert gibt es eine gute Pause und Wolfgang Mätzler von „Fairkocht“ wird seine tollen Produkte präsentieren. Wir wollen alles auch moderieren, damit man weiß, wer die Künstler*innen sind und wie deren persönlicher Zugang zur Musik ist. Das kann man in Gesprächen dann weiter vertiefen.
Was möchte die :alpenarte für die beteiligten Künstler:innen in ihrer Biographie sein, was soll man über Euch sagen?
Grundsätzlich wollen wir vor allem als warmherziges Festival in Erinnerung bleiben. Etwas, wo man sich zuhause fühlt. Das gibt ihnen zwar für die Biographie noch nicht viel, aber es ist für uns zuerst einmal das Wichtigste. Ich weiß das ja aus eigener Erfahrung, wenn ich irgendwo wertgeschätzt werde und die Menschen wirklich offen sind, dorthin komme ich gern wieder und das ist völlig unabhängig von der Gage. Es bedeutet mir viel mehr als der schöne Saal oder die Bühne. Und wir möchten ein Sprungbrett auf die Weltbühne sein, auch wenn Manche, die wir einladen, dort schon angekommen sind. Vielleicht wird die :alpenarte in der Biographie von Musikerinnen und Musikern irgendwann ein großes Gewicht haben, das hoffe ich sehr.
Und noch eine persönliche Frage: Gibt es als Profimusiker eine Grenze zum Privaten?
Ich halte es für einen Vorteil, dass meine Frau keine Musikerin ist, ich genieße das sehr, weil ich ein wenig abschalten kann zuhause. Aber gleichzeitig ist mein Instrument natürlich allgegenwärtig. Ich muss üben, mich monatelang vorbereiten und sehr viel entbehren. Es ist vergleichbar mit Spitzensport. Um eine Zehntelsekunde herauszuholen, muss man immens viele Stunden investieren, sonst schafft man das nicht. Es ist ständiges Training, stundenlang, sehr körperlich. Selbst, wenn ich im Urlaub bin, spüre ich die Geige noch. Und gleichzeitig ist es das Schönste auf der Welt …
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Festival :alpenarte öffnet dem Publikum vom 10. bis 13. Oktober 2024 in Schwarzenberg im Bregenzerwald seine Pforten.
Eine ausführliche Vita zu Matthias Honeck findet sich auf der Website der Wiener Symphoniker