C Vor dem Ochsentaler Gletscher © Dietmar Denger / Vorarlberg Tourismus
Sehnsucht Berg
Montafon Tour um das Hohe Rad
C Vor dem Ochsentaler Gletscher © Dietmar Denger / Vorarlberg Tourismus
Montafon Tour um das Hohe Rad
Die Wanderwege im Silvretta-Gebirge im Montafon bieten vielen Menschen einen Ausgleich zum Alltag. Die hochalpine Panoramatour rund um das Hohe Rad belohnt Wanderer mit einer imposanten Aussicht auf den Piz Buin, den höchsten Berg Vorarlbergs. Doch hier findet man sogar noch mehr: grüne Wiesen, Gletscher und manchmal sogar den Partner fürs Leben.
TEXT: STEFAN HERBKE
„Egal, was du für Sorgen hast, spätestens am Gipfel fällt alles von dir ab“, sagt Klaus Kühlechner. Er hat sich als Wanderführer seinen Traum vom Leben in den Bergen verwirklicht. Und er freut sich weiterhin auf jeden einzelnen Tag, den er hoch oben im Silvretta-Gebirge verbringen kann: „Du denkst nicht mehr nach, sondern genießt nur noch die Rundsicht – das berührt dich im Herzen.“ Langsam, fast schon bedächtig startet Klaus auf der Bielerhöhe und wandert mit gleichmäßigen Schritten in Richtung Bieltal, vorbei am Silvretta-Stausee mit seinem eiskalten Wasser, während im Hintergrund die Dreitausender der Silvretta Mütze tragen – alle hohen Gipfel stecken in Wolken. „Ich will den Gästen meine Heimat zeigen“, erklärt Klaus, „dann verstehen sie, warum ich hier lebe und nicht fort will.“
Bester Beweis dafür ist die Wanderung, auf die Klaus uns heute mitnimmt: die Panoramatour um das Hohe Rad. Von der Bielerhöhe geht es in das Bieltal und über den Radsattel zur Wiesbadener Hütte am Fuß des Piz Buin, mit 3.312 Metern der höchste Gipfel Vorarlbergs. Die kurzweilige Runde führt vom See über grüne Alpwiesen bis fast zu den Gletschern. Mit jedem Meter bergauf wird die Vegetation karger, geschulte Augen erkennen alte Moränen, Ablagerungen aus Schutt und Geröll, an denen man gut die einstige Größe der Gletscher ablesen kann. Doch das Eis hat sich längst zurückgezogen, überall sprudelt Wasser, neben dem Steig grasen Kühe. Nach der ersten Steilstufe treffen wir bereits auf die ersten von der Wiesbadener Hütte kommenden Wanderer. Einige sind flott unterwegs und wollen auf schnellstem Weg ins Tal. Andere, wie Petra Dimitrovova aus Tschechien und Huyen Vuong aus Vietnam, verfolgen eher das Motto „Der Weg ist das Ziel“ und lassen sich Zeit. Die beiden jungen Frauen arbeiten in der Schweiz, wohnen in Vorarlberg und gehen mit Begeisterung in die Berge. „In Vietnam haben wir zwar auch Berge“, erzählt Huyen, „aber Wandern ist dort überhaupt nicht populär.“ Hier trifft sie jedoch viele Gleichgesinnte. „Wir sitzen die ganze Woche im Büro“, erklärt Petra, „da brauchen wir am Wochenende einen Ausgleich – und den finden wir in den Bergen. Außerdem triffst du immer wieder nette Leute.“ Und schon geht’s für die beiden weiter, Richtung Tal, allerdings zögerlich: „Vor den Kühen haben wir großen Respekt.“
Oben am Radsattel öffnet sich der Blick auf das Herz der Silvretta und den immer noch imposanten Ochsentaler Gletscher mit seinen Spalten und Eiszungen. Faszinierend, auch für Jonas Hermann, der seinen Blick gar nicht abwenden kann. Schon als Kind war der Franke gerne in den Bergen und fieberte jedes Jahr den Ferien entgegen, die er bei seinen Großeltern im Pinzgau verbrachte. „Ich fühle mich in den Bergen geborgen“, meint Jonas, „und ich habe sie bei meinem letzten Job in Frankfurt ehrlich vermisst, vor allem die Ruhe und die endlose Natur.“ Mittlerweile lebt und arbeitet er in Tirol und erreicht die Berge ganz bequem mit öffentlichen Verkehrsmitteln. „Ich bin gerne schnell unterwegs, auch weil Wandern einen sportlichen Aspekt hat“, erzählt er, „aber ich bleibe auch gerne mal länger an einem Platz, setze mich hin und schaue einfach.“
Vor lauter Schauen hätten wir fast den Steinbock übersehen, der nur wenige Meter neben dem Weg steht und uns neugierig anschaut. „Viele meiner Gäste können es kaum glauben, so ein imposantes Tier in der Natur zu sehen.“ Klaus freut sich über die überraschende Begegnung und ergänzt: „Mit so einem Erlebnis hat sich jede Anstrengung beim langen Anstieg gelohnt.“ Der Steinbock hätte die beiden Kinder der Familie Swijnenburg sicher auch begeistert, doch noch spannender ist für sie das große Schneefeld direkt am Weg. „Wir lieben die Berge und vor allem die Ausblicke“, schwärmt Harry Swijnenburg von seinen Urlauben in den Alpen, „bei uns in den Niederlanden gibt es das nicht.“ Bei einem Ausbildungskurs auf einer Alpenvereinshütte lernte er vor einigen Jahren seine heutige Frau Maud kennen: „Mittlerweile haben wir zwei Kinder und gehen immer noch gerne in die Berge.“ Natürlich will der Nachwuchs auch mal ans Meer, aber Vater Swijnenburg weiß: „Nach zwei Tagen am Wasser haben wir genug.“ Ganz so enthusiastisch sind die Kinder nicht, auch wenn die sommerliche Schneeballschlacht eine willkommene Abwechslung bietet und deren Sohn Kevin von den Gletschern schwärmt. Doch Maud verrät, wie sie die Kinder motiviert: „Wir haben ihnen für die Einkehr auf der Hütte einen Kaiserschmarrn versprochen.“
Auf der Terrasse der Wiesbadener Hütte sitzen Ausflügler, Wanderer und Bergsteiger gemütlich beisammen, während die Pächter Emil Widmann und Tina Reyer mit ihrem Team unermüdlich Getränke und Essen servieren. An Wochenenden herrscht hier Hochbetrieb, zudem ist das Haus mit seinen 180 Schlafplätzen komplett ausgebucht. Tina ist stolz auf die erfolgreiche erste Saison und den Standort im Angesicht der Gletscher: „Ich fühle mich im Fels und Eis einfach wohler – ich bin keine klassische Alpwirtin.“ Nur für eine Besteigung des Piz Buin hat die Zeit noch nicht gereicht.
Für andere wie Jochen Krauss und Thomas Ogermann aus Deutschland ist dagegen ein Traum in Erfüllung gegangen, sie kommen gerade vom Piz Buin, dem bekanntesten Gipfel der Silvretta. „Das war ein ganz spezielles Erlebnis“, schwärmt Jochen. „Wir hatten Nebel und Graupelschauer, doch am Gipfel zeigte sich kurz die Sonne.“ Spannend war vor allem das Wandern mit Steigeisen, für beide eine Premiere. „Klar gehe ich in den Bergen auch mal an meine eigenen Grenzen und muss sie manchmal sogar überwinden“, meint Jochen, „doch beim Piz Buin war mir von Anfang an klar, dass das nur mit einem Bergführer geht.“ Eine Aufgabe, die Andreas Pecl vom Vorarlberger Lawinenwarndienst gerne übernimmt. Er hat die beiden begleitet und blickt zufrieden auf den Tag zurück: „Sie haben sich gut angestellt.“ Andreas war bestimmt rund hundert Mal auf dem Piz Buin, auch er freut sich auf jede Tour in seinen Heimatbergen. „Ich habe hier schon viele schöne Momente erlebt, selbst wenn es oft nur kurze Augenblicke sind, doch genau die machen es aus.“
Insgesamt warten 21 Dreitausender und 1.160 Kilometer markierte Wanderwege. Von der Familienwanderung bis zur Gipfeltour ist für jeden Anspruch etwas dabei.