C Schilf Rheindelta, Bodensee (c) Joachim Negwer / Vorarlberg Tourismus
Der kleine Dschungel am Bodensee
Artenreich und einzigartig
C Schilf Rheindelta, Bodensee (c) Joachim Negwer / Vorarlberg Tourismus
Artenreich und einzigartig
Wo der Rhein in den Bodensee fließt, liegt das artenreichste
Naturschutzgebiet Vorarlbergs. Das Rheindelta mit seinen
Halbinseln, Buchten und Feuchtgebieten ist nicht nur ein
Refugium für Vögel und Pflanzen. Es ist auch eine einzigartig
schöne und aufregende Wildnis
TEXT: JOACHIM NEGWER
Die Sonne steht schon tief. Sie blinzelt durch einen Dschungel aus Schilf, Wiesen und alten, knorrigen Weiden. Wildromantisch fließt der Alte Rhein mitten durch, alle Farben Grün, jetzt im warmen Gegenlicht. Zu Fuß folgen wir dem Flusslauf bis zum Ufer des Bodensees. Der Weg führt mitten durch das Rheinholz, den Auwald auf der Halbinsel Rheinspitz. Direkt am Wasser zu parken, das ist hier nicht erlaubt, und deshalb ist es an diesen naturbelassenen Kieselstränden des Bodensees selbst an schönen Sommertagen nicht allzu voll.
„Das Rheinholz ist mein Lieblingsort im Rheindelta“, erzählt uns Ruth Swoboda, die Direktorin der inatura Erlebnis Naturschau in Dornbirn. Weil es hier so viele Tier- und Pflanzenarten gibt. Und weil der Moment, wenn sich der Wald zum See hin öffnet, einfach immer wieder etwas ganz Besonderes ist – aus dem Dämmerlicht des Blattgrüns hinaus ins gleißende, auf dem Wasser glitzernde Sonnenlicht. So ist das zumindest heute. Aber der Auwald, der zum Europaschutzgebiet Rheindelta gehört, ist auch bei Regen ein schönes Ziel. Die Nässe und der Nebel, der dann manchmal aufsteigt, machen ihn für Ruth Swoboda zu einem fast schon mystischen Ort. Heute begleitet sie uns durch das Rheinholz und erklärt uns die Natur.
Der Neue Rhein bringt Sedimente mit – und zeichnet faszinierende Farbspiele in den Bodensee.
Werfen wir zunächst einen kurzen Blick auf die Geografie – und auf ein Kuriosum. Der Rhein durchfließt, aus der Schweiz kommend, tatsächlich den Bodensee. Im Südosten rein, im Westen wieder raus. Dabei bringt er jedes Jahr etwa drei Millionen Kubikmeter Schwebstoffe mit sich – man erkennt das milchige, kältere Wasser des Flusses bis weit auf den Bodensee hinaus.
Das Rheindelta im Südosten des Bodensees reicht dabei vom Alten Rhein an der Schweizer Grenze über den Rheindurchstich bei Fußach, den sogenannten Neuen Rhein, bis zur Dornbirner Ache in Hard. Vier Gemeinden liegen im Europaschutzgebiet, das das zweitgrößte in Vorarlberg ist – und das artenreichste.
Der Rhein ist ein wahrer Macher –
er schafft immer wieder neue Lebensräume
„Neben Fußach und Hard sind bei uns die Orte Höchst, Gaißau sowie das Land Vorarlberg Mitglieder“, erzählt uns Walter Niederer, Geschäftsführer vom Naturschutzverein Rheindelta. Der Zusammenschluss versteht sich als Mittler zwischen den Interessen der Gemeinden auf der einen und den Naturschutzbelangen auf der anderen Seite. „Das Rheindelta ist äußerst attraktiv für Radler, für Wanderer und natürlich für Badeurlauber“, meint Niederer. „Aber einige Bereiche müssen zu bestimmten Jahreszeiten eben auch besonders geschützt werden.“ Damit die Natur mit ihren riesigen Flachwasserzonen so einzigartig vielfältig bleibt, wie sie ist.
Das Rheindelta ist äußerst attraktiv für Radler,
für Wanderer und natürlich für Badeurlauber.
Beispiel Fußacher Bucht: Im Sommer ankern dort viele Boote. Badegäste genießen die schöne Natur. Von Oktober bis März jedoch gehört die Region Tausenden von rastenden Wasservögeln. Dann muss der Mensch draußen bleiben, die Bucht ist komplett gesperrt. Auf der anderen Seite sind während der Sommermonate andere Plätze nicht zugänglich, weil dann Brutzeit für einige der etwa 330 im Rheindelta schon gesichteten Vogelarten ist.
„Klar ist der Fluss für uns Menschen durch seine Hochwasser auch gefährlich“, meint Walter Niederer. „Aber der Rhein verändert die Landschaft unentwegt, schüttet Sandflächen auf und schafft immer wieder ganz neue Lebensräume, die es so woanders nicht mehr gibt.“ Er macht das Rheindelta zur wildesten Region am Bodensee. Mit Feuchtgebieten und zwei Halbinseln, dem Rheinspitz im Westen und dem Rohrspitz etwas weiter östlich.
„Rhesi“ ist ein gemeinsames Hochwasserschutzprojekt Österreichs und der Schweiz und bedeutet in diesem Fall:
Rhein – Erholung und Sicherheit. Es soll dem Rhein Platz und den Menschen mehr Sicherheit vor Hochwasser und gleichzeitig mehr Erholungsmöglichkeiten bieten. Derzeit werden nachhaltige Lösungen erarbeitet und diskutiert.
Radfahrern empfiehlt Walter Niederer die Rheindelta-Runde, eine etwa 20 Kilometer lange Tour, bei der man am Polderdamm des Bodensees, am Alten und am Neuen Rhein entlangfährt. Start- und Endpunkt ist in Fußach. Lohnend sei für Wandertouren im Winter vor allem das Mündungsgebiet des Neuen Rheins – weil es dort in der kalten Jahreszeit besonders viele Vögel zu beobachten gibt. Man kann auf den beiden Rheindämmen entlangspazieren, die das Wasser des Rheins ein Stück weit hinaus auf den See hinausleiten. Gebaut wurden sie, damit die Uferzonen nicht zu schnell verlanden.
„Das Beste ist doch, dass man die Naturschutzräume hier größtenteils betreten darf“
Nicht nur das Baden ist erlaubt im Rheinholz, man darf an ausgewiesenen Plätzen sogar grillen. Wer sich nicht nur erholen möchte, sondern auch den Blick für die Details dieser sich ständig ändernden Landschaft schärfen möchte, der nimmt an einer der zahlreichen Exkursionen teil, die zum Beispiel das Rheindeltahaus in Fußach anbietet.
Weißstörche, sondern vielleicht auch einen Kiebitz. Man wandelt nicht nur durchs Grüne, durchs Schilf, vorbei an Weiden. Jetzt sieht man auch Sibirische Schwertlilien, Sumpfgladiolen, Sonnentau oder den Kleinen Rohrkolben. Man weiß, dass in diesem Naturparadies rund 600 verschiedene Pflanzenarten wachsen. Die Frösche hört man abends quaken – aber dass es im Rheindelta auch 160 Wildbienenarten gibt, davon hatte man bislang nichts bemerkt.
Es ist ein schöner Morgen, als wir mit den Rädern zur Rheindelta-Runde aufbrechen. Erst fahren wir über den Rheindamm, dann am Polderdamm entlang. Wir radeln in Richtung Rohrspitz, einer der beiden Halbinseln im Naturschutzgebiet. Dort wollen wir gegen Mittag im Hafen Salzmann einkehren, frischen Fisch aus dem See probieren. Der Himmel ist pastellfarben. Noch ist es angenehm kühl. Wir schauen aufs Wasser hinaus.
Alle Farben Blau im Bodensee – und jede Menge Vögel. Ihr Gezwitscher und Gesang begleiten uns.