C Marina Hämmerle und Renate Breuß in Rankweil (c) Lukas Hämmerle
Sinnliche Atmosphären
Gasthäuser – Ausdruck der Vorarlberger Lebenskunst
C Marina Hämmerle und Renate Breuß in Rankweil (c) Lukas Hämmerle
Gasthäuser – Ausdruck der Vorarlberger Lebenskunst
TEXT: DANIELA KAULFUS
Zu zweit ist vieles schöner. Besonders ein Besuch im Gasthaus. Manchmal auch schreiben. Das dachte auch Marina Hämmerle und begab sich gemeinsam mit Renate Breuß auf eine besondere Entdeckungsreise durch Vorarlberg: zum Lokalaugenschein sozusagen. Beziehungsweise zu mehreren. Die beiden befreundeten Autorinnen besuchten und porträtierten einige Beispiele der heimischen Gastkultur, welche die Vorarlberger Baukunst und Kulinarik gekonnt zum Ausdruck bringen. „Lokale, die beides vereinen, werden zur Auslage unserer Region“, sind die beiden überzeugt.
Marina Hämmerle brachte ihre Expertise als Architektin und ehemalige Direktorin des Vorarlberger Architekturinstituts vai in die Serie ein, die laufend fortgesetzt wird. Renate Breuß liegen als Kunsthistorikerin und früherer Geschäftsführerin des Werkraum Bregenzerwald Handwerk und Kochkunst geradezu im Blut. Im Gespräch erzählen sie, nach welchen Kriterien sie die Häuser ausgewählt, welche Erfahrungen sie gemacht haben und was sie Gästen bei einem Besuch in Vorarlberg ans Herz legen würden. Und was haben sie selbst mitgenommen? „Für mich hat sich einmal mehr bestätigt, was für ein reichhaltiges Angebot wir vor unserer Haustür haben“, meint Marina Hämmerle. Renate Breuß fand es „spannend, das Augenmerk einmal bewusst auf beide Bereiche zu legen und zu hinterfragen: Was macht Atmosphäre wirklich aus?“
Lokalaugenschein im Gasthaus Hörnlingen in Rankweil, Vorarlberg: an einer der langen dunklen Tafeln der schönen Holzstube mit Marina Hämmerle und Renate Breuß
Marina und Renate, ihr habt für die Serie „Baukultur und Kulinarik“ ausgewählte Gasthäuser in Vorarlberg besucht und Texte über sie geschrieben, die richtig Lust machen, die Häuser auszuprobieren. Wie seid ihr bei der Auswahl vorgegangen?
Renate Breuss (RB): Wir hatten verschiedene Kriterien: zum Beispiel Stimmigkeit zwischen Baukultur und Kulinarik, Nachhaltigkeit, Kontinuität in der Führung des Hauses, kreative und innovative Aspekte. Auch das Experiment durfte dabei sein, und die Betriebe sollten authentisch sein.
Marina Hämmerle (MH): Wir wollten mit den Geschichten ein Spektrum aufzeigen, das alle Gäste-Schichten anspricht, und sichtbar machen, was auch andere wahrnehmen. Dazu suchen wir bewusst unterschiedlichste Orte des Genusses auf. Orte, wo Gaumen und Raum gut zusammenwirken.
Sind es Häuser mit historischer Substanz oder Neubauten?
RB: Mehr historische, was aber keine Einschränkung war. Wenn man von einem Altbestand ausgeht, dann sind Sanierungen die größere Herausforderung als ein Neubau, weil man auf das, was schon da ist, reagieren muss und mit routinierten Lösungen nicht immer weiterkommt. An diesem Haus (Anm. Gasthaus Hörnlingen) sieht man, wie gut Gastgeber und Architekt mit dem Ende des 19. Jahrhunderts errichteten Bestand gestalterisch und handwerklich umgegangen sind.
Letztlich sind Sanierungen die größere Herausforderung als ein Neubau, weil man auf das was schon da ist, reagieren muss und mit routinierten Lösungen nicht immer weiterkommt.
Geht es dabei um den Erhalt der Architektur?
RB: Nicht nur, es gibt auch radikale Brüche. Bei der Jahnhalle zum Beispiel gibt es Eingriffe in die alte Substanz, die eine neue Nutzung möglich machen, aber von außen nicht sichtbar sind.
MH: Auch bei der „Gams 1648“ (Anm. Baujahr 1648) wurde radikal neu gedacht. Das Haus wurde bis aufs Skelett freigelegt. Hier ist es um eine neue Raumerfahrung und ein Öffnen des Hauses gegangen.
Braucht es mehr Mutige?
MH: Es ist nicht zu bedauern, dass in unserer Auswahl wenige Neubauobjekte sind. In Städten wie Wien, New York oder Amsterdam profitieren viele tolle Bars, Clubs und Restaurants vom Flair historischer Gebäude. Die Gastronom:innen gilt es zu loben, dass sie alte Substanz erhalten und im wahrsten Sinne des Wortes in zeitgemäßes Wirtschaften überführen.
RB: Wo ich mir noch mehr Mut vorstellen könnte, ist die Zusammenarbeit mit Vorarlberger Landwirten. Gastwirtinnen und Gastwirte sind Herausforderer: Alle, die wir besucht haben, fordern gute Grundprodukte und schärfen so das Bewusstsein für Qualität in der landwirtschaftlichen Herstellung.
Die Gastronom:innen gilt es zu loben, dass sie alte Substanz erhalten und im wahrsten Sinne des Wortes in zeitgemäßes Wirtschaften überführen.
Wie bringen Gastgeber diese Qualität auf den Teller?
RB: Sie kennen die Lieferanten persönlich, fahren hin und suchen die Fische, je nachdem was der Tagesfang hergibt, vor Ort aus. Sammlerinnen bringen Eierschwämme oder selbstgemachte Marmeladen. Wirte kooperieren mit Landwirten, Sennern, Gemüsebauern. Es ist diese Beziehungsqualität, die letztlich als nicht anonymes Produkt auf dem Teller landet.
Wie wird diese Qualität vermittelt?
RB: Einige Gastgeber vermitteln sie mündlich, weil sie das Angebot täglich wechseln und keine große Speisekarte haben. Weitere Mittler sind unsere Sinne. Wir erleben eine Konsistenz, eine Form oder einen Geschmack auf der Zunge, den schönen Holztisch, über den ich mit der Hand streichen kann, das stimmige Licht oder die taktile Qualität von Vorhängen und Stoffen. Das ist das Vergnügliche.
MH: Hier im Haus ist es genauso. Die Köche sind nicht in der Küche verschwunden, sie servieren die Speisen und sind in Kontakt mit dem Gast. Die Küche ist nahbarer geworden.
Ihr habt u. a. im Rössle in Braz Sushi gegessen. Wie passt das in eine Vorarlberger Stube?
RB: Hervorragend, weil der Koch einen extrem achtsamen Umgang mit Lebensmitteln pflegt. Das zeigt sich an dieser Speise ganz besonders. Entscheidend ist diese persönliche Haltung. Nur weil wir in einer holzgetäfelten Vorarlberger Stube sind, muss es nicht immer Käsknöpfle geben.
MH: Diese Art von Überraschungen bringen einen weltoffenen Esprit in traditionelle Stuben!
Bringen Gastgeber eigene Vorstellungen heute mehr zum Ausdruck als früher?
MH: Vielleicht mehr als in Zeiten des Wirtschaftsbooms, als viel Alpenromantik importiert und Bestehendes verfälscht wurde. Früher waren sich Gastgeber der Raumwirkung schon bewusst. Auch heute wollen sie wieder authentisch sein. Die Gastgeber, die wir besucht haben, haben durchwegs ein Verständnis für Gestaltung und eine Vorstellung von dem, was sie wollen. Es herrschen handwerksbasierte Kultiviertheit und ein Wissen darum, welche Bedeutung der Raum hat. Das spürt man.
Wie wirkt Architektur auf Menschen?
MH: Gelungene Architektur kann ein Lächeln aufziehen und positive Gefühle auslösen über die Sinneswahrnehmung. Sie stimmt ein auf ein gutes Essen. Ist der Raum gut, kommt die Vorfreude.
RB: Schon der Zugang zum Haus spielt eine Rolle. An der Schwelle beginnt die Atmosphäre: Leute trudeln ein, schauen, halten inne. Wie wird man empfangen? Und wichtig: Wie riecht es? Das wird unterbewusst wahrgenommen und gehört für mich zur Architektur dazu!
Ihr habt einige Häuser besucht. Was nehmen Gäste von einem Besuch mit?
MH: Erstaunlich ist zum Beispiel, dass in ländlich geprägten Regionen ein urbanes Feeling in den Betrieben herrscht. Und wie modern, mondän und weltgewandt sie wirken. Auf der anderen Seite zugewandt: Bei manchen fühlst du dich wie bei Freunden auf Kaffee und Kuchen, wie zuhause. Das merke nicht nur ich, sondern auch der internationale Gast der Schubertiade (Anm. weltweit bedeutendstes Festival zu Ehren des Komponisten Franz Schubert), dass das familiäre Netzwerk den Betrieb trägt und alles hausgemacht ist.
RB: Die Gäste spüren, dass nichts inszeniert ist. Das gehört zur Vorarlberger Mentalität dazu. Das hat etwas Urbanes.
Die Gäste spüren, dass nichts inszeniert ist.
Für wen habt ihr geschrieben?
RB: Ich wollte Fürsprecherin für die Vorarlberger Ess- und Handwerkskultur sein – und zwar für jeden!
MH: Ich hatte Gäste von auswärts im Kopf und auch junge Leute aus Vorarlberg, die die Häuser vielleicht noch nicht kennen.
Was empfehlt ihr Gästen, die Vorarlberg kennenlernen wollen, wie es ist?
MH: Will man Vorarlberg verstehen, reicht es nicht, nur eine unserer idyllischen Talschaften zu besuchen. Die Mischung aus Semiurbanem und ländlicher Bergidylle macht‘s. Das Rheintal als urbaner Raum, als Zwischenstadt, gehört unbedingt dazu, will man die großen Kulturhäuser wie Kunsthaus Bregenz oder Festivals wie die poolbar in Feldkirch nicht links liegen lassen.
RB: Wenn man ein Haus nennen will, würde ich Gäste ins Rössle nach Braz schicken. Es ist repräsentativ für eine vielschichtige Klientel. Hier kommen Einheimische und Pilger – Braz liegt am Jakobsweg –, junge und ältere Leute sowie Stammgäste zusammen. Auch andere Gastwirte kommen hierher, was ein großer Vertrauensbeweis ist.
Vielen Dank für das Gespräch!