C Freeriden überm Klostertal, Arlberg (c) Sepp Mallaun / Vorarlberg Tourismus
Im Winter sind wir über alle Berge
Auf Skiern quer durch Vorarlberg
C Freeriden überm Klostertal, Arlberg (c) Sepp Mallaun / Vorarlberg Tourismus
Auf Skiern quer durch Vorarlberg
Die schönsten Skigebiete zwischen Kleinwalsertal und Montafon, grandiose Tiefschneeabfahrten und einsame Momente abseits der Pisten – eine faszinierende Entdeckungsreise
TEXT: STEFAN HERBKE
Eine weiße Schneewolke markiert die Stelle, an der die Abfahrtsspur im Pulverschnee abrupt endet – und in ein tiefes Loch führt. Aus dem tauche ich wenig später prustend auf und strecke lachend den Daumen nach oben. Alles ok, auch wenn meine Ausrüstung großflächig verteilt ist und der Schnee sogar im Inneren der Skibrille klebt. Der gut gemeinte Tipp von Heli kommt da ein bisschen spät: „Die Schneedecke sollte man schonen, also vermeidet bitte Stürze.“
Die Pisten sind schnell Lichtjahre entfernt.
Helmut Düringer, genannt Heli, kann das leicht sagen. Der drahtige Bergführer aus dem Bregenzerwald steht während des ganzen Winters auf Ski. Entsprechend sicher und entspannt surft er mit seinen breiten Latten durch den Tiefschnee. „In der Gruppe fahre ich langsamer“, meint er, „ich bin ja Vorbild.“ Wobei es bei den Abfahrten hier in Vorarlberg ohnehin nicht um Geschwindigkeit geht, sondern um das gemeinsame Erlebnis bei einer außergewöhnlichen Skidurchquerung. „Ski Ride Vorarlberg“ führt in einer Woche vom Kleinwalsertal aus in Nord-Süd-Richtung am Arlberg vorbei einmal durch das westlichste Bundesland Österreichs bis nach Gargellen im Montafon. Die kleinen Gruppen werden von einem Bergführer begleitet, das Gepäck von Hotel zu Hotel chauffiert. Luxus pur also!
Skigebiete mit ihren Liften, Pisten und Freeridemöglichkeiten dienen dabei als Fixpunkte, einzelne Strecken dazwischen werden mit Tourenski zurückgelegt.
Denn außer dem Bergführer haben wir auch noch einen Teammanager, der sich um alles kümmert, auch um das Wetter – zumindest wenn die Vorhersage gut ist. Ist sie aber nicht. Sollen wir uns darüber freuen? Neuschnee kann ja die reine Freude sein, vorausgesetzt, er fällt in der Nacht, und tagsüber ist es sonnig. Dichte Wolken und schlechte Sicht hingegen sind keine guten Voraussetzungen für Abstecher ins Gelände. Bergführer Heli bleibt zuversichtlich, außerdem dient der erste Skitag erst einmal dem Ankommen und Üben. Wir sollen uns an kurze Aufstiege mit Tourenbindung und Fellen gewöhnen, auch eine kleine Lektion in Lawinenkunde steht auf dem Programm. Immerhin bewegen wir uns überwiegend abseits der Pisten durch die Berge. Und tragen daher alle ein Lawinenverschütteten-Suchgerät (LVS), Sonde und Schaufel stecken im Rucksack, der zudem mit Lawinen-Airbag bestückt ist. Damit müssen wir nun umzugehen lernen. Für Heli steht die Sicherheit an oberster Stelle, als Bergführer ist er für unsere Gruppe verantwortlich.
Das Walmendingerhorn im Talschluss des Kleinwalsertals ist unser erstes Ziel. Ein kleiner Skiberg mit tollem Panorama, sportlichen Abfahrten und überraschend vielen Möglichkeiten abseits der Pisten. Nach ein paar Schwüngen steuert Heli schon die erste Skiroute an – deren jetzt noch unangenehm eisige Buckel alles andere als ein Spaß sind – und kurz darauf wartet der erste Aufstieg. Erst geht’s entlang eines kurzen Grates, wobei das Stapfen im grundlosen Schnee nicht ohne ist, dann steigen wir mit Fellen über kurze Hänge auf den Muttelbergkopf. Das Skigebiet ist schnell Lichtjahre entfernt.
Zumindest empfinden wir es so auf dieser einsamen Aussichtswarte, auf der uns Heli die Möglichkeiten für den morgigen Übergang in den Bregenzerwald erklärt. Dann steuert er eine makellos verschneite Rinne an, in der keine alten Skispuren den Tiefschneespaß verderben. Das Vergnügen ist perfekt, am liebsten würde man jetzt ganz leise jauchzen und singen!
Zurück bleiben einsame Skispuren.
Am zweiten Tag ist der angekündigte Neuschnee da, allerdings auch der Nebel. Oder wie Heli es ausdrückt: „Heute ist die Sicht bodenlos.“ Macht aber nichts, die Stimmung in der Gruppe ist bestens. Wir genießen bei schlechter Sicht und 20 Zentimeter Pulverschnee die frisch gewalzten, menschenleeren Pisten im Ifengebiet. Die geplante Route in den Bregenzerwald muss Heli allerdings ändern, bei Nebel ist die Orientierung inmitten der riesigen Schneedünenlandschaft des Gottesackerplateaus am Hohen Ifen unmöglich. Alternativ wählt er eine Variante über die Schwarzwasserhütte. Helmut Düringer war bei der Planung der „Ski Ride Vorarlberg“-Tour dabei und kennt daher alle Varianten. Davon profitieren auch wir jetzt.
Am nächsten Tag ist die Welt wieder in Ordnung, strahlend blauer Himmel erwartet uns. Und das auf der großartigen Etappe vom Hochtannbergpass hinüber nach Lech – und mitten hinein in das legendäre Schneeparadies des Arlbergs. Die frisch gewalzten Pisten sehen verführerisch aus, doch abseits davon lockt – noch besser! – der Neuschnee der vergangenen Nacht. Die Skigebiete von Lech Zürs und Warth-Schröcken – seit letztem Winter mit dem Auenfeldjet verbunden – sind bekannt für ihre Varianten, viele sind sogar in den Pistenplänen eingezeichnet und schnell verspurt. Doch wir haben Heli und Tourenski mit Fellen für Anstiege. Der Lohn: unberührte Tiefschneehänge. Heli hat unsere Runde so geplant, dass wir mit Liftschluss das Madlochjoch erreichen. Die Skifahrer sind verschwunden – wir komplett allein. Unter einer Nebeldecke liegt das Klostertal, ringsum werden die Schatten der Berge länger, während wir im Abendlicht zur letzten Abfahrt des Tages starten – mehr Glücksgefühl geht nicht.
Die vielen Tiefschneeabfahrten hinterlassen Spuren, auch beim Material. Der Neuschnee war zwar genial, doch hier und da bedeckte er geradezu heimtückisch Steine. Mit unangenehmen Folgen für den Belag. Um den kümmert sich abends der Teammanager, der alle Ski zum Service bringt, während wir die müden Beine hochlegen und an der Bar auf den Skitag anstoßen. Auch sonst ist bei unserer Ankunft immer schon alles erledigt: kein Anmelden, unsere Schuhe stehen schon im Skikeller bereit, das Gepäck ist im Zimmer. Bei „Ski Ride Vorarlberg“ sind drei Dinge nämlich besonders wichtig: die Verbindung der einzelnen Skigebiete in einer Tour, das Gruppenerlebnis mit dem Bergführer, wobei der auch viel über Vorarlberg erzählen können soll. Und eben auch: der perfekte Rundum-Service.
Die circa 2522 Meter hohen Maroiköpfe stehen als erster Höhepunkt des vierten Tags auf dem Programm. Klingt anstrengend, ist es aber nicht. Denn wir nutzen bei dieser Tour auch vorhandene Lifte und Bahnen. Von der Bergstation am Albonagrat sind es nur noch 150 Höhenmeter bis zum Gipfel, das ist selbst bei gemächlicher Gangart in weniger als einer halben Stunde zu schaffen. Bergab brauchen wir deutlich länger, immerhin wartet ein Abfahrtsklassiker mit 1300 Höhenmetern, bis hinunter nach Langen. Dazwischen: endlose Hänge, kurze Steilstufen, eine Querung unter himmelhohen Schneeflanken und ein kurvenreicher Forstweg, der einer Bobbahn ähnelt. Unten steht bereits das Taxi, das uns ins Skigebiet Sonnenkopf bringt – der zweite Höhepunkt des Tages.
Vorher stärken wir uns aber noch im Bergrestaurant Muttjöchle, das aussichtsreich auf der gleichnamigen Bergkuppe thront. Klar, zum 360-Grad-Rundblick schmecken die Nudeln gleich doppelt gut. Das Tagesziel Montafon ist zum Greifen nah – und doch so weit weg. Man könnte mit Ski direkt hinüberfahren, doch skifahrerisch interessanter ist es, die Off-Piste-Möglichkeiten am Sonnenkopf auszukosten – und anschließend bequem mit dem Teambus ins Montafon zu wechseln.
Am letzten Skitag ist es ungewöhnlich ruhig am Frühstückstisch. Wir stecken alle so voller Eindrücke – meine Beine sind müde von den täglichen Abstechern ins Gelände. Nur Heli scheint immer noch topfit zu sein: „Wir treffen uns um kurz vor neun, fahren rauf ins Skigebiet und fragen im Freeride Center nach den neuesten Infos.“ Der Infopunkt am Grasjoch liegt mitten im Skigebiet und ist eine wichtige Anlaufstelle für alle Freerider. Hier erfahren wir aus erster Hand, wie die Verhältnisse sind und welche Runs möglich sind. Heute keine. Es schneit, man sieht nur ein paar Meter. Für Heli kein Problem, der kurze Winterklettersteig auf die Zamangspitze (2386 m) geht immer – das Drahtseil gibt die Richtung vor. Statt auf der längsten Variantenabfahrt des Montafon geht es mit der Gondel bergab, so wechseln wir das Skigebiet. Dort ist die Sicht besser, sodass das Finale gesichert ist: Die Tiefschneeabfahrt nach Gargellen ist unser letzter Höhepunkt. Löcher hinterlassen wir dieses Mal keine.
Wer die gesicherten Skipisten verlässt, der benötigt viel Erfahrung und entsprechendes Sicherheitsequipment. Mit der Kampagne „Respektiere deine Grenzen“ appelliert Vorarlberg an Skifahrer, sich abseits der Pisten sowohl im Sinne des Umweltschutzes als auch auf die eigene Sicherheit bedacht zu verhalten. Am besten ist man mit einem ortskundigen Guide unterwegs! Unverzichtbar ist eine Lawinengrundausrüstung mit Lawinenverschütteten-Suchgerät (LVS), Lawinensonde und -schaufel, wobei der Umgang damit vorab geübt werden muss. Zusätzlich empfiehlt sich das Tragen eines Rucksacks mit integriertem Lawinen-Airbag. Den Spaß im Tiefschnee erhöhen Freeride-Ski – je breiter, desto besser der Auftrieb. Wer auf den Ski eine Tourenbindung montiert, der muss einen Kompromiss zwischen Fahrspaß und Gewicht finden. Denn je breiter und damit schwerer der Ski ist, umso anstrengender wird‘s natürlich bergauf.