C Stadt Hohenems © Ben Kaulfus
Hohenems – heimelige Kleinstadt mit internationalem Flair
Rundgang in Hohenems mit Eva Häfele
C Stadt Hohenems © Ben Kaulfus
Rundgang in Hohenems mit Eva Häfele
Das Festival Schubertiade lockt jedes Jahr tausende Klassikfans nach Hohenems. Seit ein paar Jahren mausert sich die Stadt noch mehr zum Treffpunkt für Menschen, die das Individuelle suchen: Cafés, Lokale und Geschäfte abseits bekannter Ketten beleben das Zentrum. Alte Häuser werden sanft revitalisiert und machen das baukulturelle Erbe sichtbar. „Die Stadt wurde aus dem Dornröschenschlaf zum Leben erweckt“, ist Sozialwissenschaftlerin Eva Häfele begeistert. Die gebürtige Hohenemserin nimmt uns mit auf Entdeckungsreise durch ihre Stadt entlang von Lieblingsorten und persönlichen Erinnerungen.
TEXT: DANIELA KAULFUS
Treffpunkt Salomon-Sulzer-Platz: Es ist noch trüb vom morgendlichen Regenguss. Lächelnd und in oranger Jacke bringt Eva Häfele Farbe auf den Platz. „Wir befinden uns im Zentrum des Jüdischen Viertels, das den städtischen Charakter von Hohenems ausmacht“, startet sie die Tour. Die schönen bunten Häuser wurden in den vergangenen zwanzig Jahren renoviert. Der Salomon-Sulzer-Saal war einst die Synagoge. „In meiner Schulzeit war sie das Feuerwehrhaus“, deutet Eva Häfele auf den kubischen Bau mit Kuppe, wo heute Hochzeiten, Konzerte und Kulturveranstaltungen stattfinden.
Die studierte Sinologin, Japanologin und Sozialwissenschaftlerin war in vielen Ländern der Welt zuhause, 1999 ist sie nach Vorarlberg zurückgekehrt. Auch Salomon Sulzer, Jahrgang 1804, war ein Weitgereister. Der berühmte Hohenemser Kantor sang international und lehrte lange in Wien, wo er Franz Schubert kennenlernte. Beide prägen Hohenems bis heute: Sulzer hinterließ seinen berühmten Namen, die in den 1970er-Jahren gegründete Schubertiade lockt jedes Jahr renommierte Interpreten sowie tausende Besucherinnen und Besucher aus aller Welt in die Stadt.
Auch hinter den Fassaden des 1832 erbauten Brettauer-Hauses pflegte man internationale Beziehungen, auch wenn dies dem einfachen gekalkten Bau nicht anzusehen ist: Die Familie Brettauer betrieb einen Vieh-, Pferde- und Kolonialwarenhandel. Stefan Zweigs Mutter ist in diesem Haus aufgewachsen. Und Damiano Collini, Vorgänger der heutigen bis Russland und Mexiko tätigen Hohenemser Firma Collini, richtete später eine Schleiferwerkstätte ein. „Der Eingang ist ein beliebtes Fotomotiv“, verrät Eva Häfele, während wir uns dem Haus nähern und unser Fotograf das charmante Ensemble mit der alten Holztüre, dem steinernen Portal und der Sitzbank bereits ins Visier nimmt. „Und hier ist mein Büro.“ Beim Betreten ist der jüdische Ursprung des Hauses an den Einbuchtungen in den Türstöcken erkennbar, wo früher die Mesusa mit Segenssprüchen eingelegt war – auch beim Eingang zur ehemaligen Collini-Werkstätte im Erdgeschoss. „Collini hat seine Maschinen nicht durch die Türen gebracht, darum hat er hier einfach die Mauer durchgebrochen und mit Ziegeln wieder zugemauert“, deutet Häfele auf eine Wand ihres Seminarraums. Der Beweis wurde während der Renovierung von 2004 bis 2006 freigelegt.
„Die Initialzündung für die Renovierungen war die Elkan-Villa“, erzählt Eva Häfele, während wir entlang der Schweizer Straße – der ehemaligen Judengasse – auf das schmucke, ehemalige Mehrfamilienhaus zusteuern. Theodor Elkan war der letzte Vorsteher der israelitischen Kultusgemeinde in Hohenems. Das Haus war später Zwischenstation für osteuropäische Holocaust-Überlebende, die in die USA oder nach Palästina emigrierten. „Meine Eltern konnten sich noch gut an das Laubhüttenfest der jüdischen Gemeinde auf der Wiese gegenüber erinnern“, sagt Häfele. Seit 1996 wird nun ein Haus nach dem anderen mit viel Rücksicht auf die alte Bausubstanz modernisiert. Das gelingt: Die Innenstadt wirkt authentisch, ist frei von Bausünden. Mit knapp 17.000 Einwohnerinnen und Einwohnern ist Hohenems die zweitkleinste von insgesamt fünf Städten Vorarlbergs. 1983 wurde sie zur Stadt erhoben, obwohl ein wichtiges Kriterium fehlt: „Hohenems hat keine Stadtmauer“, klärt uns Eva Häfele auf, während wir ein eingerüstetes Haus passieren und weiterschlendern.
Die Sozialwissenschaftlerin ist während der Hochblüte der Textilindustrie in Hohenems aufgewachsen, auch ihre Vorfahren seien allesamt Sticker gewesen, „meist Kleinindustrielle mit ein bis zwei Maschinen. Ich bin oft bei meinem Großvater in der Stickerei gesessen. Das Geräusch der Stickmaschine habe ich heute noch im Ohr, dieses Tackatackatackatacka“, schildert sie schmunzelnd. Erst ihr Vater hat mit der Tradition gebrochen und ist Lehrer geworden. Als wir im Innenhof der ehemaligen jüdischen Schule stehen, die heute Büros und ein Gasthaus beherbergt, wird die Erinnerung an den Vater wach: „Er hat die jüdische Pädagogik sehr geschätzt, die vom respektvollen Umgang gegenüber den Kindern, den Lernenden getragen ist. Er hat versucht, das zu integrieren.“ Ums Eck sei ein kleiner Lebensmittelladen gewesen, wo sie als Kind mit der Mama oft einkaufen war, „dort im Haus mit den blauen Läden. Alles war niedlich und geheimnisvoll, viele Ecken alt und schummrig.“ Als sie vor rund 30 Jahren zurückgekommen ist, sei Hohenems im Dornröschenschlaf gewesen. „Es gab nur das Jüdische Museum, das etwas Welthaltiges hatte, da habe ich den Anschluss wieder gefunden. Außerdem hat es hier immer einen guten Kaffee gegeben.“ Wir nehmen das als Empfehlung mit.
Ich bin oft bei meinem Großvater in der Stickerei gesessen. Das Geräusch der Stickmaschine habe ich heute noch im Ohr, dieses Tackatackatackatacka.
Zu neuem Leben erweckt werden soll bald „die Leidensstätte Nummer eins, die Rosenthal-Villa in der Radetzkystraße 1“, klärt uns Eva Häfele auf. Wir stehen ungläubig vor dem baufällig wirkenden Haus, der schwarz-graue Himmel verstärkt die Endzeitstimmung. Häfele späht durch den Bauzaun. „Zu meiner Zeit sagte man Schebesta-Villa, Schebesta war ein mit Kindern recht ungeduldiger Zahnarzt. Hinter dem großen Fenster war der Zahnarztstuhl, da konnte man wenigstens in den Garten schauen“, erzählt die schlanke Frau. „Übrigens wurde hier kürzlich eine Folge der Krimireihe ‚Die Toten vom Bodensee’ gedreht“, fällt ihr dabei ein. Nach der Revitalisierung soll die Villa u. a. dem Vorarlberger Literaturnetzwerk zur Verfügung stehen. Für die schreibende Zunft ist Hohenems bekanntlich ein guter Boden: Das Schriftsteller-Ehepaar Monika Helfer und Michael Köhlmeier ist hier zuhause.
Nur ein paar Schritte weiter bildet die herausgeputzte Marktgasse – die ehemalige Christengasse – einen harten Kontrast und lädt zum Flanieren ein: Das Bio-Café Frida, der Schreibwarenladen Fräulein Amman oder die Boutique „Kleidheit“ sind nur ein paar der „Neuen“ neben den angestammten Geschäften, die allesamt inhabergeführt sind. Viele sind handwerkliche Betriebe, auch Schmuckmacher gibt es in der Gasse. Läden üblicher Handelsketten findet man hier nicht. Die gibt es im modernen Vorort und in den Einkaufsstraßen anderer Städte schließlich zur Genüge. Auf halber Höhe der Straße sticht ein Haus heraus, das Schubertiade-Gründer Gerd Nachbauer gehört. „Es ist bewusst unverputzt geblieben, um das Fachwerk zu zeigen. Die herausstehenden Nägel sollten den Putz halten“, klärt Häfele auf. Darin sind das Schubertiade-Museum und das Schuhmachermuseum untergebracht, die Nachbauer installiert hat und nur während des Festivals geöffnet sind. In die Vergangenheit berühmter Persönlichkeiten kann man auch in anderen Museen, die sich zum Beispiel der berühmten Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf, ihrem Gatten, dem Produzenten Walter Legge oder Franz Schubert widmen. Die Salomon-Sulzer-Galerie, der Stefan-Zweig-Raum und das Nibelungen-Museum ergänzen das Programm für Kulturfreunde.
Wir machen einen Abstecher in die Mondscheingasse, wo in den Hinterhöfen die früheren bäuerlichen Strukturen teilweise noch sichtbar sind. Eva Häfele linst durch eine Ritze im Gemäuer, die den Blick auf alte Ställe und Wirtschaftsgebäude freigibt. „Ein Grund dafür, dass die Bausubstanz erhalten geblieben ist, ist die Armut von Hohenems. Nach dem Niedergang der Textilindustrie in den 1990er Jahren konnte sich die Gemeinde keine Neubauten leisten. Zudem hatte Hohenems lange einen Bürgermeister, der sich sehr für die Landwirtschaft und die Einrichtung der Landwirtschaftsschule eingesetzt hat. Es war schlicht kein Geld da zum Renovieren. Den langen Tiefschlaf könnte man heute als Glück bezeichnen“, sagt sie sichtlich mit Freude.
Wir flanieren weiter Richtung Kirchplatz. Beim Anblick der mächtigen Pfarrkirche St. Karl – benannt nach dem Stadtpatron Karl Borromäus – fällt ein Detail besonders ins Auge: der erhabene Gang zum Palast. Die gräfliche Familie gelangt durch diese oberirdische Verbindung direkt und trockenen Fußes auf die Kirchenempore, um am Gottesdienst teilzunehmen. Im Rücken des Palastes thront der Schlossberg, der „Hausberg“ der Hohenemserinnen und Hohenemser, der über ein paar Serpentinen leicht zu bewältigen ist. Oben kann man die aus dem 12. Jahrhundert stammende Burgruine Altems besichtigen und den Rundumblick über das Rheintal bis zu den Schweizer Bergen und zum Bodensee genießen.
Eva Häfele führt uns zum Fuß des Bergs: Durch Gestrüpp und nasses Unterholz erreichen wir eine geheimnisvolle Tür: „Leider verschlossen“, stellt sie fest. „Früher war hier der Luftschutzbunker, von dem meine Mama erzählt hat. Als Kinder war er für uns ein Abenteuer. Hier haben wir unsere Geheimnisse gebunkert“, verrät sie, „und in der Kirche unsere Sünden“, ergänzt sie lachend.
Am Kirchplatz befindet sich auch der Löwensaal, den Eva Häfele gerne besucht. Er ist eine Heimat für Kulturfreunde: Das Figurentheater Homunculus ist hier jeweils im Mai zu Gast und seit 2009 auch das Kulturfestival Emsiana, das Führungen, Vorträge, Ausstellungen, Lesungen und auch Konzerte umfasst. Neben weiteren Events wurde hier im Sommer 2021 der Galaabend des ersten Hohenemser Stadtzaubers auf die Bühne gebracht.
„Servus Kurt!“, ruft Eva Häfele laut über den Platz. In einer Kleinstadt kennt man sich. Vermehrt auf Du und Du ist man hier auch mit der gräflichen Familie Waldburg-Zeil. Die jetzige Generation begegnet der Bevölkerung sehr offen. Wir biegen in den Aufgang zum Palast ein, wo ein buntes Treiben herrscht: Dicke Bünde verschiedener Blumen verweisen auf die bevorstehende Hochzeit von Tochter Tatjana. „Hallo Nini“, begrüßt Eva Häfele die Hausherrin, Stefanie Waldburg-Zeil, mit einer herzlichen Umarmung. Man wünscht alles Gute fürs Fest und darf mit dem Grüppchen im Schlepptau noch einen Blick in den wunderschönen privaten Schlossgarten werfen. Franz-Clemens Waldburg-Zeil – ein Ururenkel von Kaiser Franz Josef und Sisi – geht hier seinem Hobby, dem Weinbau, nach.
Der gelernte Möbelrestaurator und seine Frau vermieten einige Räumlichkeiten im Palast: für private Feste, Firmenfeiern, Tagungen oder Jubiläen. Stefanie Waldburg-Zeil bietet Führungen durch das Renaissanceschloss an. Bereits seit 1990 ist das Kammerorchester Arpeggione jeweils im Juli Anziehungspunkt für Publikum aus Nah und Fern und lädt bei Schönwetter zu Konzerten in den Schlosshof. Im Besitz der Familie ist auch das Schloss Glopper, unweit der Burgruine Altems. Das exklusive Schloss wird nach liebevoller Restaurierung und Ausstattung für Veranstaltungen und Übernachtungen vermietet – Aussicht und Abgeschiedenheit inklusive. Es findet sich sogar unter den 100 Top Hideaways Worldwide 2021/22.
Zwischen dem Palast und dem Torbogen liegt ein vermeintlich unscheinbarer Brunnen. Erst beim Blick auf den Grund lassen sich im eingelegten bunten Mosaik Szenen aus dem Nibelungenlied erkennen. „Sie stammen vom Künstler Hannes Scherling“, erklärt Eva Häfele. Der Wiener Künstler lebte und arbeitete in Hohenems. Erst im 18. Jahrhundert wurden zwei Handschriften des Heldenepos im Palast gefunden.
„Früher war es noch Tradition, dass wir nach der Kirche auf einen Kuchen ins Schlosscafé gegangen sind“, erzählt sie, als wir auf das Haus mit dem großen Gastgarten zugehen. „Den Gründer nannte man nur den Ägypter, weil er dort Konditor gelernt hat“, packt die Hohenemserin eine weitere Anekdote aus. Neben Torten und Kuchen fertigt die Familie Fenkart heute auch Konfekt und Schokolade in der hauseigenen Manufaktur. Im Neubau wurde eine eindrucksvolle und moderne Schokoladenwelt errichtet, wo Sie mehr erfahren können über die Produktion der „Bean to Bar“ Schokolade, die an zahlreichen Verkostungsstationen probiert werden kann! Sie kann selbständig ohne Begleitung erkundet werden.
Ein weiteres Café verbindet Häfele mit ganz besonderen Erinnerungen, obwohl es heute nur mehr selten zu Kulturveranstaltungen Gäste empfängt: Unterhalb des Jüdischen Museums, in der Schweizer Straße 15, eröffnete der aus Augsburg stammende Herz Jakob Kitzinger 1797 mit seinem Café Kitzinger das erste Kaffeehaus Vorarlbergs, das bald zum Treffpunkt der jüdischen Gesellschaft avancierte. 1882 schloss es seine Pforten. In dem modernisierten Haus mit den grünen Läden sind heute Büros, die das Jüdische Museum und der Hohenemser Kulturkreis nutzen. „Das Haus war immer eine meiner Lieblingsecken. Witzig ist, dass es in China auch ein Café Kitzinger gibt, und zwar in einem Badeort nicht weit von Peking. Dort war ich öfters, als ich in Peking gewohnt habe, um Heimweh abzustreifen“, erzählt Eva Häfele versonnen.
Schräg gegenüber steht ein rosa getünchtes Wohnhaus. Vor hundert Jahren war es das jüdische Armenhaus und beherbergte Arme und Wohnungslose. „Zu meiner Kindheit hat hier der Bahnhofsvorsteher Ludescher gewohnt“, erinnert sich Häfele. „Mit seiner Tochter Gabriele bin ich in die Schule gegangen.“ Heute ist es das Privathaus des Projektentwicklers Markus Schadenbauer-Lacha, der größtenteils für die Verschönerung der Stadt verantwortlich zeichnet und die Emsiana gegründet hat.
Eva Häfeles Schulweg führte stets an diesem Haus vorbei, als sie als Kind vom Herrenried entlang der Schillerallee zur Emsbach-Brücke ging. „Hier war früher die Bäckerei Spiegel, wo ich mir einen Brezel oder Salzstängel gekauft habe“, sagt sie und markiert den Ort mit dem Zeigefinger, während sie uns in einen versteckten Hof mitnimmt. Über einen alten gezackten Zaun schweift ihr Blick zu einem Garten, einer Villa, dem Kirchturm von St. Karl bis zum Schlossberg. „Das ist mein Lieblingsblick“, strahlt Eva Häfele über das ganze Gesicht. Gegenüber hat sie einige Jahre gewohnt, ums Eck hatte Hannes Scherling sein Atelier.
Ein letzter Abstecher führt uns zum Kaiserin-Elisabeth-Krankenhaus, einem wunderschönen Jugendstil-Bau, der heute das Hospiz beherbergt. Für die „vorbildliche Gebäudesanierung“ erhielt die Stadt Hohenems eine Auszeichnung des Bundesdenkmalamtes. Zwei weitere Preise gab es für den Löwensaal und das seit über 135 Jahren bestehende Geschäftshaus Weirather, ein Fachgeschäft für Uhren, Schmuck und Optik. Nach der individuellen Stadtführung findet die kleine Gruppe: Hohenems hat sich insgesamt einen Preis für vorbildliche Stadtentwicklung verdient.